Englische Tänze

[319] Englische Tänze. (Musik, Tanzkunst)

Sie werden auch Contertänze genennt von dem englischen Wort Country-dances, welches so viel bedeutet, als Tänze, die unter dem Landvolk, in den verschiedenen Provinzen, üblich sind. Diese Tänze, die vermuthlich aus England und Schottland sich in Europa verbreitet haben, sind von vielerley Arten, und können von vier, sechs, acht und noch mehr Personen zugleich getanzt werden. Deswegen wird insgemein bey den Bällen, nach dem eine Zeitlang Menueten getanzt worden, die meiste übrige Zeit damit zugebracht, weil sie mehr Personen auf einmal beschäftigen, und weil man bis ins unendliche damit abwechseln kann; denn man hat unzählige Contertänze. Sie sind von verschiedenen Bewegungen von zwey und von drey Zeiten; alle kommen darin überein, daß sie sehr lebhaft sind, und größtentheils etwas mäßig comisches haben, dadurch sie Vergnügen und Artigkeit mit einander vereinigen. Es scheinet, daß keine Nation in der Welt mehr tanzt, als die englische; denn alle Jahr werden in London neue Tänze in großer Anzahl erdacht und durch den Druk bekannt gemacht. Man [319] findet unter der Musik den Tanz selbst theils durch choregraphische Zeichen, theils sehr kurz durch Kunstwörter beschrieben.

Die Musik zu den englischen Tänzen, die man in Deutschland insgemein Angloisen nennt, ist insgemein bey einer großen Einfalt sehr lebhaft, mit ungemein deutlich bemerkten Einschnitten, und hat vielfältig das besondere, daß die Cadenzen in den Aufschlag fallen.1 Diejenigen, die zu muntern Liedern Melodien setzen wollen, können die englischen Tänze zu Mustern dazu nehmen. In London kommt insgemein alle Jahr eine beträchtliche Sammlung neuer Tänze heraus. Artig ist dabey, daß die meisten Melodien zu bekannten englischen Liedern gemacht sind, so daß man bey den englischen Tänzen Poesie, Gesang und Tanz mit einander vereinigen, und die Lieder nicht blos singen, sondern auch tanzen kann, wodurch sie natürlicher Weise weit mehr Eindruk machen. Dieses ist also noch in dem alten Geschmak diese drey schönen Künste zu vereinigen.

1S. Cadenz S. 178
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 319-320.
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