Ernsthaft

[350] Ernsthaft. (Schöne Künste)

Wenn der Mensch ernsthaft ist, so richtet er eine sorgsame Aufmerksamkeit auf die Gegenstände, die ihn in diese Gemüthsfaßung setzen. Denn die Ernsthaftigkeit scheinet die Würkung solcher Vorstellungen zu seyn, die wir für wichtig halten, und dabey zugleich etwas zu besorgen ist. Eine ernsthafte Gemüthslage kann demnach zur gewissern Würkung der Werke der Kunst viel beytragen. Darum hat der Künstler bey wichtigen Vorstellungen sich zu bemühen, daß sie sich gleich durch einen ernsthaften Ton ankündigen.

Der Mahler unterstützt die Ernsthaftigkeit seines Inhalts durch einen strengen Ton, wodurch die schönen und hellen Farben ihren Glanz, die sanften ihre Annehmlichkeit verlieren. Dadurch allein schon kann er das Aug zu ernsthafter Betrachtung des Gegenstandes reizen, so wie ein schwarzer und trauriger Himmel uns in ernsthafte Erwartung eines Gewitters setzet. Der Tonsetzer wird ernsthaft durch einen schweeren Gang der Bewegung; durch häuffige und schweere Vorhalte1, durch plötzliche und ungewöhnliche Ausweichungen, durch chromatische Fortschreitungen und durch Vermeidung lieblicher melismatischer Verzierungen. Der Redner durch schweere volltönende Worte; durch öftere Ausrufungen und Anreden, durch Beschweerungen und Eydschwühre, dergleichen man sowol beym Demosthenes, als in den so genannten Philippischen Reden des Cicero sehr oft antrift.2 Der epische Dichter unterhält seinen Leser durch den ernsthaften, und bisweilen feyerlichen Ton und Gang seines Verses, fast durchaus in der Ernsthaftigkeit. Und wenn er das Ernsthafte auf das höchste treiben will, so mischt er fürchterliche Nebenbegriffe ein. Beydes Ton und Begriffe sind in folgender Stelle höchst ernsthaft.


–– –– Bald stand er voll Tiefsinn,

Bald sah' er überall langsam herum und setzte sich wieder

Wie auf hohen unwirthlichen Bergen drohende Wetter

Langsam und Verweilend sich lagern; so saß er und dachte.3


Das Ernsthafte bey kleinen und verächtlichen Gegenständen macht eine Art des Scherzhaften und Lächerlichen aus, und kann also beym Spott sehr gute Würkung thun; denn nichts ist poßirlicher als ein ernsthafter Ton der läppischen Gegenständen. Wer kann sich des Lachens enthalten, wenn Scarron in einem ernsthaften Ton sein zerrissenes Kleid besingt? Er vergleicht es mit den ägyptischen Pyramiden, die er also anredet:


Superbes monumens –– ––

Par l'injure des ans, vous êtes abolis.

–– –– –– ––

Il n'est point de ciment que le tems ne dissoude

Si vos marbres si durs ont senti son pouvoir

Dois je trouver mauvais qu'un mechant pourpoint noir

Qui m'a duré deux ans soit percé par le coude.

1S. Vorhalt, auch Dissonanz
2Nur ein Beyspiel aus hunderten, die Cicero geben könnte. Proh Dii immortales! Ubi est ille mos, virtusque Majorum? – – An ego ab eo mandata acciperem, qui senatus mandata contemneret? aut ei cum senatu quidquam commune judicarem, qui Imperatorem Pop. Rom. senatu prohibente obsideret? At quæ mandata? arrogantia! Quo stupore! Quo spiritu? Philip. VIII. 8.
3Meßias II Ges.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 350.
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