Mühsam

[780] Mühsam. (Schöne Künste)

Unter diesem Ausdruk verstehen wir hier eine Werken des Geschmaks anklebende Unvollkommenheit, aus welcher man merken kann, daß dem Künstler die Arbeit sauer geworden ist. Bey dem Mühesamen bemerket man einigen Zwang in dem Zusammenhang der Dinge; man fühlet, daß sie nicht natürlich und frey aus einandergeflossen, oder neben einander gestellt sind. In den Gemählden merkt man das Mühesame an etwas verschiedentlich durch einanderlaufenden Penselstrichen, wodurch eine Würkung, die mit weniger Umständen hätte erreicht werden können, durch mehrere nur unvollkommen erreicht wird; an Strichen, wodurch andere, die unrichtig gewesen sind, haben sollen verbessert werden; an Kleinigkeiten, die dem, was schon ohne volle Würkung vorhanden war, etwas nachhelfen sollten; und an mehrern Umständen, die man besser fühlt, als beschreibt. In Gedanken und ihrem Ausdruk zeiget es sich auf eine ähnliche Weise. Der Zusammenhang ist nicht enge, nicht natürlich genug, und hier und da durch eingeflikte Begriffe verbessert worden. Die Ordnung der Wörter etwas verworren, der Ausdruk selbst nicht genug bestimmt, und ofte durch einen andern nur unvollkommen verbessert, und selbst dem Klang nach fließen die Worte nicht frey genug. In der Musik machen erzwungene Harmonien, schweere Fortschreitungen der Melodie; eingeflikte Töne in den Mittelstimmen, wodurch Fehler der Hauptstimme sollten verbessert seyn, ein in der Abmessung fehlerhafter Rhythmus, eine ungewisse Bewegung, und mehr dergleichen Unvollkommenheiten, das Mühesame.

Menschen von einer freyen und geraden Denkungsart, die keinen Umweg suchen, und sich ihrer Kräfte bewußt, überall ohne viel Bedenklichkeit handeln, finden auch an Handlungen, Werken und Reden, wo alles leicht und ohne Zwang auf einander folget, großes Wolgefallen. Deswegen wird ihnen das Mühsame, das sie in andrer Menschen Verfahren entdeken, sehr zuwieder. In Werken des Geschmaks, wo alles einnehmend seyn sollte, ist das Mühesame ein wesentlicher Fehler. Künstler, die durch Müh und Arbeit den Mangel des Genies ersezen wollen, können durch keine Warnung, durch keine Vorschrift dahin gebracht werden, daß sie das Mühesame vermeiden. Aber da auch gute Künstler in besondern Fällen ins Mühesame gerathen können, so ist es nicht ganz überflüßig, sie davor zu warnen.

Wer das Mühesame vermeiden will, muß sich hüten, ohne Feuer, ohne Lust, oder gar aus Zwang zu arbeiten; er muß die Feder, oder den Pensel weglegen, so bald er merkt, daß die Gedanken nicht mehr frey fließen; denn durch Zwang kann da nichts gutes ausgerichtet werden. Von den Mitteln sich in das nöthige Feuer der Arbeit zu sezen, wodurch man das Mühsame vermeidet, ist anderswo gesprochen worden.1

1im Art. Begeisterung.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774, S. 780.
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