Originalwerk

[863] Originalwerk. (Schöne Künste)

Es giebt zweyerley Arten der Kunstwerke, denen man diesen Namen giebt; denn er bedeutet entweder ein Werk, das keine Nachahmung, oder eines, das keine Copey ist. Im ersten Sinne kommt dieser Namen den Werken zu, die einen eigenthümlichen, nicht erborgten innerlichen Charakter haben; im andern Sinne bezeichnet man dadurch ein Werk, das von eines Künstlers eigenem Genie entworfen, und nach seiner Art bearbeitet und nicht copirt ist, wenn es sonst gleich in dem Wesentlichen seines Charakters nichts originales hat. In der ersten Bedeutung ist z.B. Klopstoks Bardiet ein Originalwerk, ein Drama von ganz eigenthümlicher Art, von des Dichters Genie ausgedacht: dergleichen Werke machen nur Originalgeister. In dem andern Sinn ist jedes Werk, dessen Urheber bey Verfertigung seinen eigenen Gedanken, wenn sie gleich Aehnlichkeit mit fremden haben sollten, gefolget ist, und bey der Ausarbeitung eben nicht sorgfältig andrer Manier genau nachgeahmet hat, ein Original. In diesem Sinne sind alle Trauerspiele des Racine Originale; denn keines ist übersezt und in fremdem Geschmak bearbeitet, obgleich die Handlung überhaupt, oder auch einzele Stellen, nachgeahmt sind.

[863] Man könnte das Wort auch noch in einer dritten Bedeutung nehmen, um dadurch die Werke zu bezeichnen, die aus wahren Trieb des Kunstgenies, aus würklicher, nicht nachgeahmter, oder verstellter Empfindung entstanden sind. Nämlich, die wahren Originalkünstler arbeiten gemeiniglich aus Fülle der Empfindung; weil sie einen unwiederstehlichen Trieb fühlen, das was sie würklich in der Phantasie haben, oder was sie lebhaft empfinden, durch ein Werk der Kunst an den Tag zu legen. Hingegen geschiehet es auch, das ein Werk nicht durch die Empfindung des Künstlers, sondern durch fremde Vorstellung veranlasset wird, ein Werk des Vorsazes, der Ueberlegung, und nicht ein Werk der Begeisterung ist. Jene könnte man im Gegensaz dieser Originalwerke nennen.

Man stehet leicht, wieviel Vorzüge diese Originale vor den Werken, die es nicht sind, haben müssen: sie sind wahre Aeußerungen des Genies; da die andern Schilderungen verstellter nicht würklich vorhandener Empfindungen sind. Jene lassen uns allemal die Natur, diese nur die Kunst sehen. Ein Dichter der von einem Gegenstand bis zur lyrischen Begeisterung gerührt worden, und denn singt, weil er der Begierde das was er fühlt auszudrüken, nicht wiederstehen kann, dichtet eine Originalode, die ein wahrer Abdruk des Zustandes seines Gemüths ist. Ein andermal aber fodern außer der Kunst liegende Veranlassungen eine Ode; oder er selbst stellt sich vor, er sey in einem Fall, in eine Lage, darin er nicht ist, sucht Empfindungen hervor, die dem Fall natürlich sind, die er aber nicht würklich hat, und in dieser angenommenen Stellung dichtet er. Da muß freylich ein ganz anderes Werk entstehen, das uns mehr die Kunst, als die Natur sehen läßt. Ein solches Werk ist etwas betrügerisches, damit man uns, blos um die Kunst zu zeigen, hintergehen will.

Auch große Originalgeister machen bisweilen solche Werke; die denn freylich weit unter den wahren Originalen sind, die aus dem vollen Gefühl ausströhmen. Der schlaue Künstler sucht den Betrug zu verbergen, aber man merkt ihn doch. So fühlt man bey der Horazischen Ode auf den Baum, und an der Ramlerischen auf das Geschüz, Kunst und nicht Ergießung der Natur. Es war Horazens Ernst nicht so gar sehr auf den Pflanzer des Baumes zu schimpfen, wie er sich anstellt: hier ist mehr Spaß, denn Ernst. Mit völliger Heiterkeit des Gemüthes, nahm der Dichter sich vor, sich anzustellen, als wenn der gehabte Schreken ihm solche Empfindungen verursachet hätte; weil er uns zeigen wollte, daß er ein guter Odendichter sey.

Auf die Originalwerke der erstern Art, können die Betrachtungen und Anmerkungen des nächst vorhergehenden Artikels angewendet werden. Darum brauchen wir uns hier nicht in umständliche Betrachtung derselben einzulassen. Wir wollen nur noch anmerken, daß ein Werk von mehr als einer Seite Original seyn könne. Der ganze Stoff kann entlehnt und die Behandlung desselben kann Original seyn. So ist in redenden Künsten ein Werk bisweilen blos im Ausdruk Original, und der Stoff selbst hat eben nichts besonderes. Indessen, wie gering auch der Theil der Kunst, darin das Werk Original ist, seyn mag; so ist ein solches Werk immer schäzbar, weil es wenigstens etwas von der Kunst erweitert.

Wir müssen noch besonders von den Originalen der zweyten Art in den Werken der zeichnenden Künste sprechen. Die Gewinnsucht hat eine Menge Copeyen unter Originale gestellt.

Es ist also für Kenner und Liebhaber eine wichtige Frage, ob es allemal möglich ist, oder ob man es wenigstens durch fleißige Beobachtung und Erfahrung dahin bringen kann, mit Gewißheit zu entscheiden, ob ein Werk ein Original ist, oder nicht?

Die Erfahrung hat diese Frage noch nicht entscheidend beantwortet, da man gewisse Zeugnisse hat, daß würklich Kenner vom ersten Rang sind betrogen worden. Es ist vielleicht keine beträchtliche Sammlung von Gemählden, oder geschnittenen Steinen, wo nicht Copeyen für Originale gehalten werden. Man ist so gar über einige Werke der ersten Art ungewiß, welche von zwey Gallerien, deren Besizer sich schmeicheln das Original zu haben, es würklich besizet. Vasari versichert, daß Julius Romanus eine Copie nach Raphael für das Original gehalten habe, ob gleich er selbst an den Gewändern des wahren Originals gearbeitet hatte.

Die Regeln, die Originale zu kennen, lassen sich nicht wol angeben. Denn, was man von der Freyheit der Bearbeitung, die das Original zeiget, und von dem furchtsamen und gesuchten in der Copie sagt, ist weder sicher noch hinlänglich genug. Es kommt hier auf ein sehr seines Gefühl an, dessen Gründe und Regeln sich nicht beschreiben lassen. [864] Mit einem feinen Aug und Kenntnis der Ausübung der Kunst viel Werke der berühmten Meister gesehen, und sehr ofte nach allen Theilen der Bearbeitung untersucht zu haben, giebt allerdings eine Fertigkeit die Originale, wo nicht allemal, doch meistentheils zu kennen. Meister der Kunst, die jede Kleinigkeit der Behandlung aus eigener Erfahrung kennen, sind hierin die besten Richter. Aber große Herren thun wol, um nicht betrogen zu werden, daß sie bey Werken von Wichtigkeit, allemal ein Mißtrauen in die Stüke sezen, über deren eigentliche Herkunft sie nicht recht authentische Zeugnisse haben.

Aber ist denn so sehr viel daran gelegen, ein Original zu besizen? Und kann nicht eine Copey, wenn sie so ist, daß auch ein gutes Aug dabey betrogen wird, eben die Dienste thun, als das Original? Nachdem man eine Absicht bey Anschaffung des Gemähldes hat. Es kann Copeyen geben, die mehr werth sind, als halb verdorbene Originale.1 Aber da jedes Original ein einzeles Werk ist, das nicht vermehrt werden kann, so ist auch sein Preis nicht nach der Schäzung einer Copey zu bestimmen, die so oft als man will, kann wiederholt werden. Diese hat einen bestimmten, jenes einen unbestimmten Werth, und Niemand will, wenn es schon auf beträchtliche Summen ankommt, gern betrogen seyn.

In Bildergallerien, die dazu dienen sollen, die Monumente zur Geschichte der Kunst aufzubewahren, ist es höchst wichtig nichts als Originale zu haben. Die Geschicht der Kunst selbst, ist ein wichtiger Theil der Geschicht des menschlichen Genies, und da muß man nicht durch falsche Nachrichten betrogen werden. Die Frage, wie weit die Griechen und Römer es in diesem oder jenem Theil der schönen, oder mechanischen Künste, und auch der Wissenschaften gebracht haben, kann nur durch Originalwerke des Alterthums beantwortet werden. Man streitet z.B. ob sie die Wissenschaft der Perspektiv beseßen, ob sie Vergrößerungsgläser gehabt, was für Instrumente sie gehabt haben, u. d. gl. Dergleichen Fragen aus Copeyen, oder andern neuern, aber vorgeblich alten Werken beantwortet, verbreiten Unwahrheiten in einen wichtigen Theil der menschlichen Kenntnisse.

Zum Studiren für den Künstler, wenigstens in Absicht auf die Behandlung, und auch auf die Zeichnung sind die Originale großer Meister unendlich wichtiger, als die besten Copeyen; denn die höchste Wahrheit und der größte Nachdruk in Zeichnung und Farbe hängt ofte von kaum bemerkbaren Kleinigkeiten ab, davon wenigstens ein Theil in der Copey vermißt wird.

1S. Copey.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774, S. 863-865.
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