Elisabeth [3]

[655] Elisabeth (Philippine Marie Helene, Madame von Frankreich), jüngste Schwester Ludwig XVI., geb. zu Versailles 1764, verlor ihren Vater, den Dauphin, und ihre Mutter Marie Josephe, eine Tochter August III. von Sachsen, im zartesten Kindesalter. Sie offenbarte während ihres ganzen Lebens eine seltene Milde des Charakters, innige Frömmigkeit, eine Alles aufopfernde Menschenliebe, und ihr größtes Vergnügen war, Unglücklichen Gutes zu erweisen. Als ihr bei der Einrichtung ihres Haushalts 25,000 Livres jährlich zur Bestreitung ihres Schmucks angewiesen wurden, überließ sie diese Summe sechs Jahre lang einem jungen Mädchen, dem sie vorzüglich zugethan war. Zu ihrem ältesten Bruder, Ludwig XVI., fühlte sie sich besonders hingezogen, ließ sich, was damals noch für ein Wagstück galt, mit ihm zugleich die Blattern einimpfen und dasselbe zugleich mit 60 armen Mädchen thun, die auf ihre Kosten aufs Sorgfältigste behandelt wurden. Ihre glücklichste Zeit verlebte sie auf dem ihr vom König gekauften Lustschlosse Montreuil, bis sie als das unschuldigste aller Opfer der Revolution mit in den Strudel derselben gezogen wurde. Sah sie auch dieselbe sich vorbereiten, so erkannte sie doch erst 1789 ganz die drohenden Folgen, und hatte sie den Hof gemieden, so lange er in sicherm Glanze strahlte, so machte sie sich nun zur Gefährtin der kön. Familie bei aller Gefahr und tröstete sie im Unglück. Sie begleitete den König am 6. Oct. 1789 von Versailles auf der gezwungenen Reise nach Paris und suchte ihn zu entschlossenen Schritten zu bewegen. Als ihre Tanten nach Italien flüchteten, redete der König ihr zu, sie zu begleiten, aber sie war nicht zu bewegen, ihr Schicksal von dem seinigen zu trennen. Sie theilte alle Gefahren und Schmach der zu spät versuchten Flucht Ludwig's 1791, wurde gleich ihm nach Paris zurückgeführt, folgte ihm ebenso bei dem Sturme auf die Tuilerien am 10. Aug. 1792 in die Nationalversammlung und wurde mit der kön. Familie in den Tempel eingekerkert, wo sie die größte Geduld und Ergebung zeigte. Sie besserte hier eines Tages den Rock des Königs aus, obgleich man ihr alle Scheren und schneidenden Instrumente weggenommen hatte, und als sie den Faden mit den Zähnen abriß, rief der König: »Wie ganz anders ist es jetzt, als sonst! Auf deinem Landsitze in Montreuil mangelte dir nichts.« »Ach, mein Bruder!« antwortete sie, »wie kann ich irgend einen Mangel fühlen, wenn ich deine Unglücksfälle theile!« Die drei fürchterlichsten Scenen waren hier für sie die Trennung des Königs von seiner Familie am 11. Nov. 1792, die Abführung des kleinen Dauphin am 3. Jul. 1793 und die der Königin am 2. Aug. 1793. Seitdem saß sie mit ihrer Nichte, der jetzigen Herzogin von Angoulême, allein im Tempel gefangen und vertrat Mutterstelle an ihr, bis mm auch diese Leidensgefährtin in ein abgesondertes Gefängniß führte. Am 9. Mai 1794, nachdem Ludwig und die Königin bereits hingerichtet waren, wurde sie in die Conciergerie gebracht und vor ein Gericht gestellt, welches sie des Todes schuldig erkannte, weil sie mit ihren Brüdern Briefe gewechselt habe. Sie vernahm das Urtheil mit Ruhe und Ergebung und wurde schon am folgenden Tage, den 10. Mai, mit 23 andern Verurtheilten, die sie vorher sterben sehen mußte, guillotinirt.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1837., S. 655.
Lizenz:
Faksimiles:
Kategorien: