Gleichgewicht

[228] Gleichgewicht bezeichnet den Zustand, in dem Kräfte so gegeneinander wirken, daß es zu keiner Wirkung kommt, weder einer solchen, welche jede dieser Kräfte für sich, noch welche alle zusammen hervorbringen würden, wenn sie einzeln [228] oder alle zusammen in demselben Sinne, d.h. nicht einander entgegen wirkten. Zunächst bedient man sich des Ausdrucks von dem Verhältniß, in welchem eine Last und eine diese Last zu bewältigen angewendete Kraft stehen. So lange Last und Kraft im Gleichgewicht stehen, vermag diese jene nicht zu bewältigen. An der Wage wird die Kraft durch das Gewicht ersetzt und es findet Gleichgewicht daher statt, wenn weder die Last (der zu wiegende Körper) das Gewicht in die Höhe bringt, noch wenn dieses jene emporhebt. Der Wagebalken zeigt durch horizontale Lage diesen Zustand des Gleichgewichts an. Da jede Kraft, wenn sie ihre Wirkung zu äußern vermag, Bewegung zur Folge hat, so wird durch das Gleichgewicht jede Bewegung aufgehoben. – Nicht nur von körperlichen Dingen sagt man, daß sie im Gleichgewicht seien, sondern auch von geistigen, und man spricht so z.B. von einem Gleichgewicht der europ. Staaten, welches sich auf die durch die Ländermasse bedingte Macht der einzelnen europ. Staaten bezieht. Um Europa, welches schon in Beziehung auf Umgrenzung, ebenso aber auch hinsichtlich der Bildungsstufe ein Ganzes ausmacht, den Frieden zu sichern mußte sich unter den mächtigsten Staaten das Bestreben ausbilden, keinem Staate ein Überschreiten derjenigen Grenzen in Ausdehnung seiner Macht zu gestatten, durch welche er eine dem Ganzen drohende Stellung einnehmen würde, oder durch welche er zu einem Einflusse käme, der nicht durch den der übrigen europ. Staaten aufgewogen werden könnte. Seit dem 15. Jahrh. ist dieser Gedanke an die Herstellung und Erhaltung eines derartigen Gleichgewichts der Macht zwischen den größern Staaten Europas, an welche sich die kleinern anschließen, sofern sie nicht, wie die Schweiz (s.d.) eine durchaus neutrale Stellung einnehmen, wenn auch nicht der Grund zu Entstehung von Streitigkeiten, doch bei entstandenen Unruhen häufig Veranlassung zu Einmischungen geworden, welche zum Zweck hatten, schneller den Frieden herbeizuführen und den Allzumächtigen zu demüthigen, oft aber nur zur Verlängerung des Kampfes und zu größern Verwickelungen Anlaß gaben. Napoleon hob durch die Vergrößerung Frankreichs das Gleichgewicht Europas völlig auf, doch wurde es 1814 wiederhergestellt, und die sorgfältige Bewachung desselben, verbunden mit dem Princip, sich in fremde Händel nicht einzumischen, hat bis diesen Augenblick unter vielen drohenden Zeitumständen glücklich den Frieden erhalten.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 228-229.
Lizenz:
Faksimiles:
228 | 229
Kategorien: