Human

[421] Human ist ein ursprünglich lat. Wort und bedeutet »menschlich, menschenwürdig«. Da es allerdings des Menschen eigenthümlichstes Merkmal und sein größter Vorzug ist, daß er eine über die thierische Roheit zur Herrschaft gelangende Bildung sich zu erwerben im Stande ist, so hat man dann unter Humanität eine solche, echt menschliche, also nicht einseitige, sondern alle Anlagen und Kräfte des Menschen umfassende Bildung verstanden. Zur Bildung gehört wesentlich die Beherrschung der Leidenschaften, aber jedenfalls ist es unrichtig, wenn man die Humanität in der Leutseligkeit für alle Schwächen und Schlechtigkeiten sucht, eine selbst unhumane Verwirrung, wenn man meint, durch Gleichgültigkeit, gleichviel ob wahre oder scheinbare, gegen alles Dasjenige, was den edlen Menschen zur Begeisterung für oder wider sich entzündet, Humanität an den Tag zu legen. Die alten Griechen und Römer waren in vielen Beziehungen hochgebildete Menschen, und nach dem Untergange jener Nationen kam die Weltherrschaft in die Hände roher Völker, welche erst im Verlaufe der Jahrhunderte zu einer höhern Bildung sich emporgeschwungen haben. Sowie das Bedürfniß nach Bildung unter den german. Völkern erwachte, suchten sie dieselbe mit Recht zunächst in dem griech. und röm. Alterthume, und dieses wurde so die Mutter aller Künste und Wissenschaften der neuern Zeit. Besonders die Schriftwerke jenes Alterthums waren es, mit deren Studium sich alle Diejenigen emsig beschäftigten, welche nach einer höhern Bildung strebten, und auf diese Weise kam es, daß man vorzugsweise das Studium der griech. und latein. Sprache und die mit diesem zusammenhängenden Studien als Humaniora bezeichnete, und die auf dieses Studium sich gründende Erziehung Humanismus, die Lehrer und Bekenner desselben Humanisten nannte. Statt nun aber, gebildet durch den Geist des Alterthums, der eignen Gegenwart in Künsten und Wissenschaften sich förderlich zuzuwenden, wurden sehr häufig jene Studien, das Mittel zum Zweck, selbst zum Hauptzweck gemacht, und es kam mitunter sogar dahin, daß zwar Griechisch und Lateinisch gelernt und gelehrt, die wahre Bildung aber gänzlich vernachlässigt wurde. Noch jetzt gibt es viele Gelehrte, welche zwar der alten Sprachen Meister sind, aber in der eignen Muttersprache sich nur unbehülflich auszudrücken vermögen, welche zwar genau die Geschichte Griechenlands und Roms herzuerzählen verstehen, aber von Dem, was in der eignen Gegenwart vorgeht, wenig oder nichts wissen und die im gesellschaftlichen Leben keineswegs als gebildete Menschen aufzutreten im Stande sind. Aas diesem Grunde ist man vielfach gegen den Humanismus aufgetreten und namentlich haben einzelne Männer demselben den Philanthropismus und Realismus entgegengesetzt, Erziehungssysteme, nach denen man die Erlernung der alten Sprachen nicht zur Hauptsache machen, sondern an ihre Stelle die Mittheilung solcher Kenntnisse setzen soll, welche dem der Gegenwart angehörigen Menschen im Leben wahrhaft nützlich werden können. Es ist nicht zu leugnen, daß man auch bei diesem Erziehungssysteme vielfach zu weit gegangen ist, indem man übersah, daß die wahre menschliche Bildung nicht sowol durch [421] nützliche Kenntnisse gefördert werde, als vielmehr durch solche, welche ein freies Interesse des Geistes an ihm selbst, am Geistigen, hervorrufen. Dieses echt menschlich geistige Interesse herrscht in den griech. und röm. Schriftwerken auf eine so wahrhaft schöne und erhebende Weise vor, daß dieselben niemals aufhören werden, vorzügliche Bildungsmittel zu sein.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 421-422.
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