Pozzo di Borgo

[551] Pozzo di Borgo (Carlo Andrea, Graf von), russ. Botschafter am engl. Hofe, wurde 1768 im Städtchen Atala auf Corsica von armen adeligen Ältern geboren, widmete sich der Rechtswissenschaft und war Advocat und Generalprocurator, als er seiner eifrig revolutionnairen Gesinnungen wegen 1791 von der Stadt Ajaccio zum Abgeordneten bei der gesetzgebenden Nationalversammlung gewählt wurde. In dieser sprach er mit den heftigsten Worten wider die gegen Frankreich sich verbindenden Mächte, kehrte aber bald nach Corsica zurück und schloß sich den Bestrebungen des Generals Paoli (s.d.) für die Unabhängigkeit der Insel an, nach deren Mislingen er als erbitterter Gegner von Bonaparte nach London ging Hier trat er mit vornehmen franz. Auswanderern in Verbindung und wurde als franz. Agent in Deutschland und Italien gebraucht. bis er 1802 als Staatsrath in russ. Dienste trat. Nach dem Frieden von Tilsit bewog aber P. die für Napoleon günstige Gesinnung des Kaisers Alexander, auf Reisen zu gehen und nachdem er 1808 und 1809 Östreich mit seinen Rathe gedient, begab er sich über Konstantinopel, Syrien und Malta nach England, wo er für seinen Haß wider Napoleon günstigere Verhältnisse fand, 1812 die Verbindung von Rußland mit England beförderte und nun wieder in die Umgebung des russ. Kaisers zurückkehrte. Im Fortgange der Ereignisse nahm P. an den meisten wichtigen Verhandlungen Theil, war stets jeder Versöhnung mit Napoleon entgegen und betrieb später das Vordringen der verbündeten Heere nach Paris und die Herstellung der Bourbons mit unermüdlichem Eifer. Indessen verkannte P. nicht, daß Frankreich nur von einer aufgeklärten und freisinnigen Regierung zufrieden gestellt werden könne und trug seine Ansichten deshalb auch Ludwig XVIII. vor, bei dem er zum russ. Botschafter ernannt wurde. Er befand sich auf dem Congresse zu Wien, als Napoleon von Elba nach Frankreich zurückgekehrt war, wohnte als russ. Commissair bei der engl.-preuß. Armee der Schlacht von Waterloo bei, in der er verwundet wurde und kehrte nachher als russ. Gesandter nach Paris zurück. Den Antrag, als Minister des Innern und mit der Ernennung zum Pair in franz. Dienste überzugehen, lehnte. er auf des russ. Kaisers Wunsch ab, von dem er 1817 zum Generallieutenant ernannt wurde. Vermöge seiner Stellung in Paris, welch e er bis 1835 bekleidete, nahm P. an allen wichtigen Verhandlungen thätigen Antheil, die zwischen den europ. Großmächten vor und nach der franz. Juliusrevolution stattfanden, in deren Folge er die Anerkennung Ludwig Philipp I. auf dem franz. Throne lebhaft unterstützte. Nicht minder einflußreich war seit 1835 seine Anstellung als russ. Botschafter in London, wo er zuletzt noch die Ausgleichung zwischen Belgien und den Niederlanden vollenden half, nun aber entschlossen sein soll, sich von den Geschäften zurückzuziehen.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 551.
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