Prohibitivsystem

[582] Prohibitivsystem nennt man diejenige Lehre, nach welcher die Industrie eines Staates durch gänzlich verbotene oder wenigstens durch Zölle sehr erschwerte Einfuhr ausländischer Erzeugnisse zu schützen ist. Sie fließt aus den Grundsätzen des Mercantilsystems (s.d.), und was von der Zweckmäßigkeit des letztern gilt, leidet auch auf das Prohibitiv- oder Schutzsystem Anwendung. Man ging dabei von dem Satze aus, daß der Staat, der mehr von dem Auslande kaufe, als er an dieses verkaufe, nothwendig verarmen müsse, da er den Unterschied mit Geld zu decken genöthigt sei, in Geld aber der Reichthum des Landes bestehe. Man suchte daher auf jede Weise den Verkauf an das Ausland zu steigern, die Consumtion ausländischer Erzeugnisse dagegen möglichst zu verhindern. Als ein sehr vortheilhaftes Mittel zu diesem Zwecke stellten sich Einfuhrabgaben oder Zölle dar, deren Einführung sich mit der Sorge für Gewerbe und Industrie und andern wohlklingenden Namen beschönigen ließ und welche zugleich eine höchst ergiebige Finanzquelle abgaben. Das Verderbliche dieses Systems zeigte sich aber um so deutlicher, von je mehren Staaten es angenommen wurde; denn was der einheimische Staat durch erschwerte Einfuhr fremder Erzeugnisse zu gewinnen glaubte, verlor er wieder durch die von andern Staaten gehemmte Ausfuhr der eignen Producte. Die Ausführung der Sperrmaßregeln erzeugte Feindseligkeiten [582] und Reibungen, und erfoderte sehr kostspielige Veranstaltungen, um das Umgehen der Zollgesetze zu verhüten. Es entstand ferner das demoralisirende Schmuggelwesen und in manchen Grenzländern ein förmlicher Kriegszustand zwischen den Einwohnern und Zollbeamten. Die Vorschritte der Nationalökonomie führten überdem auf eine Prüfung der Grundsätze dieses Systems und die Wissenschaft zeigte klar, daß die Basis desselben durchaus falsch sei. Man erkannte die eigenthümliche Natur des Geldes und das wahre Wesen des Reichthums, man überzeugte sich, daß das Interesse des Staats von dem der Consumenten nicht getrennt sei und nicht dem Wohlbefinden einzelner Fabrikherren aufgeopfert werden dürfe; daß in Güterverhältnissen zwischen Inland und Ausland kein Unterschied bestehe und daß es für den Wohlstand des Volks stets besser sei, wenn es ein Bedürfniß wohlfeiler befriedigen könne, selbst wenn es dasselbe vom Auslande beziehe; daß endlich das Gedeihen so mancher Fabrik- und Erwerbzweige von der eigenthümlichen Beschaffenheit des Landes und günstigen oder ungünstigen Localverhältnissen abhange, nicht jedes Land Alles hervorbringen könne, sondern schon die Natur auf einen gegenseitigen Austausch der Producte hingewiesen habe. Diesen rationellen Ansichten ist aber die Praxis doch nur langsam gefolgt, denn Finanzrücksichten, Einflüsterungen und der Vortheil der Fabrikanten widerstritten der hessern Einsicht. Oft auch sah man sich zu den Schutzzöllen als Retorsionsmaßregeln gezwungen, und in einigen Fällen lassen sich dieselben sogar nationalökonomisch rechtfertigen. Das Letztere ist der Fall, wenn ein inländisches Gewerbe durch den plötzlichen Aufschwung des ausländischen mit dem Untergange bedroht wird, und man hoffen darf, daß eine vorübergehende künstliche Vertheuerung der ausländischen Waare die inländische Industrie in den Stand setzen werde, sich für die Zukunft selbst zu halten, oder, wenn es klar vorliegt, daß es nur einiger Zeit bedarf, um die vorgeschrittene Industrie des Auslandes einzuholen. Zweckmäßig kann es auch sein, eine Differenz in der Besteuerung der beiderseitigen Waaren bei dem Übergange der fremden Güter in das Inland durch Zölle auszugleichen. Ein inländisches Gewerbe aber, welches fortwährend und auf die Dauer der Unterstützung und eines besondern Schutzes auf Kosten der Consumenten bedarf, kann ohne Nachtheil für den Staat untergehen. Doch dürfte es bei einer großen Ausdehnung des Gewerbes rathsam sein, ihm nur allmälig den Schutz zu entziehen, damit die dabei Betheiligten Zeit gewinnen, ihre Thätigkeit einem den natürlichen Verhältnissen des Landes angemessenern Geschäfte zuzuwenden.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 582-583.
Lizenz:
Faksimiles:
582 | 583
Kategorien:
Ähnliche Einträge in anderen Lexika