Reim

[663] Reim wird der Gleichlaut von Worten in ihren betonten Endsylben genannt und die Dichter bringen denselben gern an den Ausgängen ihrer Verse an, um den Schmuck und Wohllaut der dichterischen Rede auch durch Ebenmaß und Übereinstimmung des Klanges zu vermehren. Allein obgleich der Reim besonders in der manchen Gedichtformen, wie z.B. der Stanze, dem Sonett eignen, künstlichen Verschränkungsart desselben für das Ohr allerdings einen eigenthümilchen Reiz mit sich bringt, ist er deshalb doch kein wesentliches Zubehör der Poesie, und es gibt sehr künstlichgereimte Reden von nichts weniger als dichterischem Inhalte, sowie erhabene Dichtungen ohne Reim, wie er denn auch den Dichtern der alten Griechen und Römer abgeht, allein sämmtlichen, später aus dem Lateinischen entstandenen Sprachen eigen ist; doch war er bei christlich-religiösen lat. Dichtungen des 4. Jahrh. schon gewöhnlich. Man unterscheidet: männliche Reime, welche von den langen Endsylben der Worte gebildet werden, wie Gut und Blut, Heldenthat und Feindesrath; weibliche Reime, die aus dem Gleichlaute der zwei letzten Sylben entstehen, wie unterdrücken und entzücken, oder gleitende Reime, zu denen drei gleichtönende Sylben gehören, wie reinigen und bescheinigen. In arab., pers. und altnordischen Dichtungen erstreckt sich sogar der Reim zuweilen über sämmtliche Worte der Verse. Bei den männlichen Reimen müssen nicht blos die Selbst- oder Doppellauter derselben, sondern eigentlich auch die denselben etwa folgenden Mitlauter übereinstimmen, und man darf z.B. nicht Stadt und Rath reimen, doch sind auf die Aussprache gegründete Ausnahmen gestattet und man kann Reime wie Bad und Rath, Noth und Tod unbedenklich brauchen. Weit sorgfältiger ist dagegen bei mehrsylbigen Reimen auf völlige Übereinstimmung zu halten, und neigen und reichen oder wol gar beugen, oder Tagen und machen sind zu verwerfen, obgleich ähnliche bei den besten Dichtern mit vorkommen. Endlich darf auch nicht ein und dasselbe Wort unter gleicher Bedeutung aufeinander gereimt werden, wenn nicht ein besonderer Nachdruck dabei beabsichtigt wird, gleichlautende Worte von verschiedener Bedeutung aber, wie Reichen und reichen, Wagen und wagen, geben den sogenannten reichen Reim. Mit den über mehre Sylben sich erstreckenden Reimen sind die Alliteration und Assonanz (s.d.) nicht zu verwechseln. Die sogenannten Leberreime sollen im vorigen Jahrh. durch einen gewissen Shävius aufgekommen sein und sind zweizeilige Scherzgedichte, welche sonst bei Gastereien, wenn Hecht aufgetragen wurde, von Dem gemacht werden mußten, welchem die Leber vorgelegt wurde und die stets mit »Die Leber ist vom Hecht und nicht von einem –« anheben, wozu dann der Name eines Thieres gefügt und auf diesen die zweite Zeile gereimt ward. Um das Auffinden der Reime zu erleichtern, sind längst in andern Sprachen und auch in der deutschen Sammlungen von den mit ihren Endsylben sich reimenden Worten gemacht worden, von welchen letztern die vollständigste das »Allgemeine deutsche Reimlexikon« von Peregrinus Syntax (2 Bde., Lpz. 1826) ist. Das Wort reim en bedeutet aber auch überhaupt so viel wie zusammenstimmen und sich passen, und wenn von mehren Dingen gesagt wird, daß sie sich nicht zusammen reimen, so heißt das, sie passen nicht zusammen, ungereimt aber heißt in dieser Beziehung so viel wie widersinnig und thöricht.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 663.
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