Sieden

[190] Sieden oder Kochen (das) nennt man den Zustand einer tropfbaren Flüssigkeit, bei welchem sich dieselbe in Dampf umwandelt. Man kann jede Flüssigkeit bis zu einem gewissen Grade erhitzen, dann aber nimmt sie keine Wärme weiter an, sondern indem sie auf demselben Temperaturgrade stehen bleibt, verzehrt sie die ihr ferner zugeführte Wärme und verwandelt sich, je nachdem mehr oder weniger Wärme zugeführt wird, schneller oder langsamer in Dampf. Der Temperaturgrad, bei welchem eine Flüssigkeit zu sieden beginnt, oder bis zu welchem sie erhitzt werden kann, ohne daß ihre Umwandlung erfolgt, heißt der Siedepunkt derselben. Derselbe ist jedoch sehr verschieden, je nach der Stärke des äußern Druckes gegen die Oberfläche der erhitzten Flüssigkeit, welcher von der Atmosphäre fortwährend ausgeübt wird. Dieser Druck wechselt und nimmt besonders mit der Erhebung über den Meeresspiegel ab. Daher kommt es, daß auf hohen Bergen die Flüssigkeiten viel eher sieden als in den Ebenen, und daß man auf jenen z.B. manche Speisen, wie Rindfleisch, auf die gewöhnliche Weise nicht weich zu kochen vermag, weil das Wasser nicht den hierzu nöthigen Hitzegrad annimmt. Im luftleeren Raume siedet das [190] Wasser schon bei der Wärme der menschlichen Hand. In Gefäßen, welche luftdicht verschlossen sind, kann man dagegen das Wasser bis zu jedem beliebigen Hitzegrad bringen, wenn nur das Gefäß stark genug ist, um den Druck von innen, welcher mit der Erhitzung zunimmt, auszuhalten. Hierauf beruht der Papinianische Topf (s.d.). Bei gewöhnlichem Drucke der Atmosphäre siedet das Wasser bei 80° R., auf dem Montblanc schon bei 69°. – Wenn man Salzlaugen des in ihnen enthaltenen Wassers durch Verdunstung beraubt, so bleiben die Salze in krystallnischer Gestalt zurück; daher nennt man in der technischen Chemie die Darstellung der Salze in feste Form aus ihren Laugen Sieden. – Wie das Sieden die Umwandlung tropfbarflüssiger Körper in ausdehnsam flüssige ist, so ist das Schmelzen die Umwandlung fester in tropfbarflüssige. Auch das Schmelzen erfolgt bei einem bestimmten Temperaturgrade, welcher für jeden Körper ein anderer ist. Das Eis schmilzt bei 0° und bleibt so lange auf diesem Temperaturgrade stehen, bis es ganz in Wasser umgewandelt ist. Alle ihm zugeführte Wärme wird bis dahin verzehrt und bedingt die Umwandlung der beim Schmelzen wie beim Sieden verzehrt werdenden Wärme, welche äußerlich nicht merklich ist, aber alsbald wieder frei wird, wenn Dampf in tropfbare Flüssigkeit oder tropfbare Flüssigkeit in feste Form umgewandelt wird.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 190-191.
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