Traum, Traumdeuterei

[186] Traum, Traumdeuterei. Siehe, sprach der feurige Jüngling Tag zur ernsten Mutter Nacht, – siehe hier alle meine Sonnen und geöffneten Blumenkelche, siehe das pulsirende Leben, das geschäftige Regen und Weben in meinem glänzenden Reiche, und gestehe dann, daß ich der Herrscher der Erde bin! »Wohl,« antwortete mit milder Stimme die majestätische Nacht, – »wohl erkenne ich sie an, deine Herrlichkeit, und leid' es willig, wenn meine Sterne erbleichen vor deinen Sonnen: – doch lege ich in die Schale mein goldenes Gewicht, das unendliche Reich des T's, – wie erbleicht, wie zerstäubt deine Sonnenwelt vor des T's nächtlichen Sonnen!«.... Dank dir, heilige Nacht, für deine himmlischen Gaben! Prahle der Tag mit seinen geöffneten Blumenkelchen, du gibst uns dafür der Traumlilien geschlossenen Kelch. Da wiegt sich der Geist in heimlichen Wiegenliedern, die ihm von oben die träumerischen Sterne zuflüstern; da erschließen sich die goldenen Tiefen des magischen Mährchenquells; da schwimmt das Herz hinüber in das duftige Reich des ewigen Morgens. Wie du so lind, o. T., die Schläfe umwebest des Schlummernden mit deinem sternen- und liliendurchbrochenen Schleier! Wie du so lieblich zur sanftzitternden Aethergestalt wandelst die bange Trauergestalt des tiefsten Leides! Wie unter deinem Scepter so zauberisch die heimlichsten Gedanken und Gefühle zu sichtbaren Sylphiden voll süßen Zwielichts werden! Wie du die Getrennten vereinst, und selbst die Gestorbenen heraufzauberst aus der engen Kammer!..... Wenn bei der durch den Schlaf verursachten Unthätigkeit des Gehirns und Rückenmarkes und der von ihnen abhängigen Nerven die Functionen der [186] Sinne, das Bewußtsein, Bewegung etc, gebunden sind, so bleiben die Nerven der Ganglien (Nervenknoten), welche vitale Handlungen des Körpers, Athmen, Umlauf des Blutes etc, bedingen, immer noch thätig, sowie die an diese Nerven gebundenen Seelenvermögen, das unwillkührliche Gedächtniß, die Einbildungskraft und das Begehrungsvermögen. Aus dem Walten dieser von der Außenwelt und den Sinneseindrücken abgewendeten Seelenthätigkeiten entsteht der T., welcher sich gewöhnlich in Bildern und Allegorien ausspricht, zu denen die Erinnerungen aus der Sinnenwelt meistens nur die Form geben. Den Charakter der T. und diese selbst bestimmen sehr oft gewisse Vorgänge im Innern des Organismus, welche von der Phantasie verbildlicht werden. So spiegelt uns ein leichtes, frisches Blut im T. ein Fliegen, Schweben und freies Erheben über den Boden vor; so Stockung in der Circulation, ein Ungeheuer, welches uns erdrücken wolle, den Alp. Zuweilen steigert sich die Thätigkeit des Gangliensystems zur Clairvoyance (s. Magnetismus thierischer). Am häufigsten spiegeln sich die Ereignisse des Lebens, die Sinneneindrücke und Gemüthsbewegungen des wachenden Zustandes im T'e ab. Vielen Einfluß auf Modification und Associrung der Traumbilder äußern auch die unbewußten Sinneneindrücke während des Schlafs, sowie Krankheiten, namentlich Fieber. Die meisten T'e sind am Morgen vergessen; zum Bewußtsein gelangen dagegen diejenigen, welche an der Grenze des Schlafens und Wachens oder während eines nicht allzu tiefen Schlafes sich bilden; denn dann ist die Thätigkeit des Gehirns nicht ganz eingestellt, und das Gangliensystem steht mit dem Cerebralnervensysteme noch in Verbindung. Die wunderbare Bildersprache und unergründliche Phantastik der Traumwelt deutete am tiefsinnigsten der große Naturforscher Schubert in seiner »Symbolik des Traums.« – Schon in den ältesten Zeiten sah man in den T'n Offenbarungen zukünftiger Dinge, und eine Menge der merkwürdigsten prophetischen Träume und Visionen erzählen uns die heiligen Schriften und viele Schriftsteller[187] aus allen Jahrhunderten. Man suchte deßhalb die T'e zudeuten, und in älteren Zeiten gab es, namentlich im Morgenlande, eigene Traumdeuter, welche die Traumsprache zu verstehen vorgaben Auf die angeblichen Erfahrungen dieser Deutekunst gründete man später die noch jetzt hie und da vorkommenden Traumbücher, mit der Verzeichnung der angenommenen Traumbilderbedeutungen. Ohne in eine nähere Untersuchung über diesen Gegenstand einzugehen, erinnern wir nur als eines Gegensatzes hier an das altdeutsche Sprichwort: »Träume sind Schäume.«

B.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 10. [o.O.] 1838, S. 186-188.
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