Geburt

[30] Geburt, ist der Akt der Lostrennung des Gezeugten vom mütterlichen Organismus, besonders bei dem Menschen. Eine nach einer regelmäßigen Schwangerschaft von 10 Mondsmonaten oder 40 Wochen eintretende G. durchläuft 5 Perioden: In der ersten bereitet sich der ganze mütterliche Organismus vor, der Muttermund des Uterus verstreicht sich, wird papierdünn, die Scheide sondert Schleim ab, eine gewisse Bangigkeit bemächtigt sich der Mutter, kleine zuckende Wehen erscheinen. In der 2. Periode kommen stärkere Wehen, welche die Eihäute bis zum Platzen anspannen, die Blase stellt sich zur G., heißt der techn. Ausdruck. In der 3. Periode platzt die Blase, die Wehen werden immer heftiger u. treiben den Kopf des Kindes so weit herab, daß der Muttermund denselben nur noch in seiner Peripherie umfaßt – der Kopf steht in der Krönung. – In der 4. Periode endlich wird das Kind unter den heftigsten Schüttelwehen geboren. In der 5. Periode wird die Nach-G. ausgetrieben. Man unterscheidet zwischen regelmäßiger u. regelwidriger G. Bei ersterer muß vor allem die Lage des Kindes eine regelmäßige sein, d.h. die Längenachse des Kindes muß mit der des mütterl. Beckens zusammenfallen, sodann muß die Größe des Kindes zu den Räumlichkeiten des Beckens in der Wehenthätigkeit des Uterus wie zum Kräftezustand der Mutter in einem Verhältniß stehen, daß die G. des Kindes ohne Hilfe möglich ist. Bezüglich der Lage des Kindes unterscheidet man: Kopf-G.en, der gewöhnlichere Fall, und Fuß- od. Steiß-G.en; bei ersteren kommt der Kopf des Kindes zuerst zur G., bei letzteren die Füße od. der Steiß. Außerdem unterscheidet man je nach der relativen Lage der Theile des Kindes zu denen der Mutter 1. Lage: der Rücken des Kindes ist im mütterl. Becken nach vorne und links, die Brust nach hinten und rechts gekehrt; sie ist die häufigste; 2. Lage: der Rücken ist im Becken nach hinten u. links, das Gesicht nach vorne und rechts gekehrt; 3. Lage: das Kind ist im Becken mit dem Gesicht und der Brust nach vornen und links, mit dem [30] Rücken nach hinten und rechts gekehrt: 4. Lage: Gesicht nach hinten und links, Rücken nach vornen und rechts. Von den Kopf-G.en hat man den Fall noch besonders aufgefaßt, wo nicht, wie es gewöhnlich ist, das Hinterhaupt, sondern das Gesicht sich zur G. stellt. Diese Art G.en ist an sich nicht unregelmäßig, doch geht dieselbe immer schwerer vor sich u. bedarf nicht selten Hilfe. Stellt sich irgend ein anderer Theil als der Kopf oder die Füße und der Steiß zur G., so ist die G. eine regelwidrige. Die gewöhnl. Mittel eine G., abgesehen von innerlich gereichten Mitteln, zu beendigen, bestehen in folgendem: die Anwendung der G.szange oder des Hebels u. die Wendung des Kindes. Die Zerstücklung des Kindes, der Kaiserschnitt, der Schambogenschnitt und die künstliche Früh-G. gehören zu den seltenen Operationen. Um nach der G. des Kindes die etwa angewachsene Nach-G. zu entfernen, gehört noch zu den häufigen Operationen die Lösung der Nach-G. Unter den die G. befördernden innerlichen Mitteln stehen die krampfstillenden, insbesondere das Opium, oben an; rein wehentreibend das Mutterkorn (Secale cornutum). – Man unterscheidet auch noch zwischen gewöhnlichen G.en, Früh- und Spät-G.en. Ist das Kind lebensfähig – von der 28.–40. Woche der Schwangerschaft – und wird vor der 40. Woche geboren, so ist dieses eine Früh-G., nach der 40. Woche von der 40.–44. Woche, eine Spät-G. Das röm. Recht erklärt Früh-G.en von 6 Monaten oder 182 Tagen, und Spät-G.en innerhalb des 10. Sonnenmonats, der Code Napoléon erklärt Früh-G.en von 180 Tagen und Spät-G.en von 300 Tagen noch für rechtmäßig.

Quelle:
Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1855, Band 3, S. 30-31.
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