Herrnhut

[291] Herrnhut, regelmäßig gebauter Ort in der Oberlausitz, sächs. Kreisdir.-Bez. Bautzen, nahe bei Berthelsdorf u. dem zu H. gehörigen Marktflecken Groß-, Lang- od. Markthennersdorf, ist d. 1722 angelegte Stammort d. Brüdergemeinde oder Herrnhuter, mit schönen öffentl. Gebäuden (Betsaal, Gemeindelogis für Fremde, 2 Chorhäusern für die Ledigen u.s.w.) und etwa 1000 Brüdern und Schwestern, welche Fabriken in lackirten Waaren, Lederwaaren, Leinwand, Lichtern betreiben. Die den engl. Quäkern nahe verwandten stilllebenden. dennoch sehr betriebsamen und deßhalb wohlhabenden H.er entstanden durch die rastlosen Bemühungen des Grafen Zinzendorf aus Anhängern von Spener und Franke, zumeist aus böhmischen u. mährischen Brüdern (s. d. Art.), feiern den 13. Aug. 1727 als Stiftungstag, vereinigten sich 1744 zur s. g. Brüder-Unität in den 3 »Tropen« des luther., helvet. u. mähr. Bekenntnisses, fanden 1749 in Sachsen und England Anerkennung als selbständige Gemeinde und breiteten sich, sogar in Rußland bis zu den letzten Jahren ungehindert, durch männliche und weibliche Missionäre in der ganzen Welt aus. An der Spitze der ganzen Brüdergemeinde steht die Conferenz der 9 Aeltesten zu Berthelsdorf; alle 10 Jahre mindestens ist eine Generalsynode, wo die Entscheidung durchʼs Loos eine große Rolle spielte, aber seit 1818 nur noch für Missionäre angewendet wird; jeder einzelnen Gemeinde steht wiederum eine Aeltesten-Conferenz, aus dem Präses (Gemeinhelfer) und Prediger. dem Gemeinvorsteher, Inspector und Vorsteher der Erziehungsanstalten u.s.w. sowie aus den Frauen derselben bestehend, vor; ein eigenes Collegium wacht über die Sittlichkeit und Beobachtung der Statuten, jede Gemeinde ist in Chöre je nach Stand und Alter getheilt. jeder Chor wird von einigen seiner Mitglieder geleitet; abendliche gemeinsame Andachtsübungen in den Chorhäusern, wo der blutige Kreuzestod Jesu Christi, süßliche Gesänge sammt den »Loosungen« des alten und den »Lehrtexten« des neuen Testaments eine große Rolle spielen; alle 4 Wochen eigenthümliche Feier des hl. Abendmahles, Gewissensräthe, Liebesmahle. Festtage, strenge Kirchenzucht. Gesammtzahl der H.er etwa 100.000. Gemeinden (wo lauter H.er leben): in Sachsen außer den genannten noch Kleinwelke, in Preußen: Gnadau, Gnadenberg, Gnadenfeld, Gnadenfrei, Neuwied, Niesky; in den sächs. Herzogthümern: Neudietendorf und Ebersdorf; in Baden: Königsfelden bei Villingen, außerdem einzelne in Holland, England, Irland, Dänemark, Rußland, Nordamerika. Societäten (Orte, wo die H.er nur ein Versammlungshaus besitzen) in: Altona, Amsterdam, Basel, Berlin, Breslau, Dublin, Gothenburg, Königsberg, Kopenhagen, London, Moskau, Petersburg, Philadelphia, Stockholm. Dazu in vielen Gegenden einzelne, »in der Zerstreuung lebende« Angehörige. Missionsplätze: 4 in Grönland. 3 in Labrador, 3 für die nordamerikan. Indianer. andere in Westindien, Südamerika, Südafrika, Sarepta in Rußland für Bekehrung der Kalmüken u.s.f. 1836 im Ganzen 46 Stationen.

Quelle:
Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1855, Band 3, S. 291.
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