Geschoßtreibmittel [3]

[251] Geschoßtreibmittel . Der Weltkrieg brachte einen beispiellosen Aufschwung und Vergrößerung der Fabrikation an Geschoßtreibmitteln als naturnotwendige Folge mit sich, da sich der nie vorauszusehende Bedarf von Jahr zu Jahr steigerte. Die Jahresproduktion an Nitrocellulose für rauchloses Pulver betrug in Deutschland zuletzt schätzungsweise ca. 60000000 Kilo. Das früher übliche Walzen nach dem Kneten wurde allgemein verlassen und die Knetmasse direkt durch Pressen der Formgebung unterworfen, wobei aus wirtschaftlichen Gründen der Wiedergewinnung der zur Fabrikation erforderlichen flüchtigen Lösemittel, Alkohol und Aether, ganz besondere Aufmerksamkeit geschenkt, diese erheblich verbessert und allgemein eingeführt wurde.

Als wesentliche Neuerung in der Herstellung der rauchlosen Nitrocellulosepulver, welche durch den im Weltkriege rapid wachsenden Mangel an Baumwolle uns gewissermaßen aufgezwungen wurde, ist zunächst der stetig gesteigerte Ersatz der Baumwolle durch Holzcellulose (Zellstoff) zu nennen, welcher schließlich die Baumwolle bei dem Nitrierprozeß ganz und gar ersetzen mußte und auch wohl konnte. Allerdings hatte dieser Ersatz auch einige üble Folgeerscheinungen, welche sich durch große Schwierigkeiten in der Verdrängung des Wassers durch Alkohol, in der Verzögerung und Verteuerung der Fabrikation und auch einer höheren Empfindlichkeit des fertigen Pulvers gegen Schlag, Stoß und Reibung unangenehm bemerkbar machte. Den ungeheuer gesteigerten Anforderungen von Geschützpulver, namentlich für große Kaliber, konnte ein schon vor dem Kriege ausgearbeitetes Verfahren der Vereinigten Köln-Rottweiler Pulverfabriken verhältnismäßig leicht gerecht werden, nach welchem Nitrocellulose-[251] Nitroglyzerinpulver aus hochprozentiger Nitrocellulose ohne Lösemittel (Aceton), mithin ohne die sonst unvermeidlichen Verluste an solchen und dementsprechend preiswert hergestellt werden und sofort nach dem Pressen zur Verwendung kommen konnte, sodaß die ganze sonst für die dickeren Dimensionen außerordentlich lange Trockenzeit vermieden wird. Es sei bemerkt, daß es in der Not der Zeit gelungen ist, das durch den Fettmangel immer knapper werdende Glyzerin, welches zur Herstellung des Nitroglyzerins erforderlich ist, aus dem Zucker durch eine bestimmt geleitete Hefegärung zu gewinnen. Zur weiteren Streckung der Nitrocellulosepulver wurden ferner die aus Ammonsalpeter und Holzkohle gemischten Ammonpulverpreßkörper als Beiladung und zwar unter Verstärkung der Treibkraft der Nitrocellulosepulver vielfach mit bestem Erfolg verwendet. Von außerordentlicher Bedeutung erwies sich das 1913 von Will durch Nitrieren von Tetranitroäthankalium erhaltene Hexanitroäthan, welches für sich durch Stoß oder Reibung nicht zur Explosion zu bringen ist, aber den Nitrocellulose- oder Nitroglyzerinpulvern zugesetzt, deren ballistische Leistungsfähigkeit wesentlich steigert. Betreffs der Stabilitätsprüfung der rauchlosen Pulver wurde die Wärmelagerprüfung, d.h. die Lagerung der Pulverproben bei 50° und 75°, Beobachtung der Gewichtsabnahme, Aenderung der Verpuffungstemperatur, Stabilitätsprüfung bei 135° und ballistische Leistung in regelmäßigen Intervallen herangezogen, wobei namentlich die Lagerung bei 75° recht gute Aufschlüsse über die Lagerbeständigkeit des Pulvers gibt. Auch der Sytest, Lagerung bei 115°, und Feststelllung des Gewichtsverlustes nach je 8 Stunden Lagerung unter Beobachtung der Gewichtsabnahme auf ihre Regelmäßigkeit oder plötzlich eintretende Sprunghaftigkeit gibt als neue Prüfungsmethode einen guten Anhalt bezüglich der Stabilität.


Literatur: Stettbacher, Schieß- und Sprengstoffe, Leipzig 1919; Zeitschr. für das gesamte Schieß- und Sprengstoffwesen 1914, S. 349.

E. Meyer.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 1 Stuttgart, Leipzig 1920., S. 251-252.
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