Militärbeförderung auf Eisenbahnen

[433] Militärbeförderung auf Eisenbahnen. Für jedes Land ist ein wesentliches Erfordernis der Kriegsbereitschaft, daß für den Kriegsfall die ausgiebige, einheitliche, zweckmäßige Benutzung der Eisenbahnen zur Beförderung der Truppen nebst ihrer Ausrüstung sowie der Verpflegungsmittel, der Munition u.s.w. schon in Friedenszeiten sichergestellt wird. Dies kann geschehen durch Konzessionsbedingungen der Eisenbahnen, durch Uebereinkommen der Regierung mit den Eisenbahnen oder (am vollkommensten) durch gesetzliche Bestimmungen.

Das Staatsbahnsystem erleichtert durch die einheitlichen Einrichtungen, das gleichmäßig geschulte Personal und die straffe Organisation außerordentlich die Gestaltung und Durchführung der Militärbeförderung im Kriege. Eine Militärbeförderung auf Eisenbahnen findet aber auch im Frieden statt bei Truppenübungen, bei Verlegungen von Truppenkörpern, bei Versetzungen, beim Eintritt, bei der Beurlaubung und der Entlassung der Mannschaften, bei der Beschaffung von Ausrüstungsgegenständen, Munition u.s.w. Auch diese Beförderung bedarf bei ihrer Eigenart besonderer, von der Handhabung der Ziviltransporte abweichender Regelung, die gewöhnlich und am zweckmäßigsten zusammen mit derjenigen der Militärbeförderung im Kriege erfolgt, indem so die Militärbeförderung im Frieden diejenige im Kriege vorbereitet.

In Deutschland1 haben nach Art. 47 der Reichsverfassung sämtliche Eisenbahnverwaltungen den Anforderungen der Reichsbehörden bezüglich der Benutzung der Eisenbahnen zum Zwecke der Verteidigung Deutschlands unweigerlich Folge zu leisten und insbesondere das Militär und alles Kriegsmaterial zu gleichen ermäßigten Sätzen zu befördern. Diese Verpflichtungen sind weiter ausgeführt in den beiden Gesetzen über die Kriegsleistungen und über die Naturalleistungen für die bewaffnete Macht im Frieden sowie in den dazu ergangenen Ausführungsverordnungen. Auf Grund dieser Bestimmungen ist die Militäreisenbahnordnung erlassen, deren Teil I aus der Militärtransportordnung und dem Militärtarif besteht, während Teil II die Bestimmungen betreffend Ausrüstung und Einrichtung von Eisenbahnwagen für Militärtransporte, die Vorschrift über Hergabe von Personal und Material der Eisenbahnverwaltungen an die Militärbehörde und die Instruktion betreffend Kriegsbetrieb und Militärbetrieb der Eisenbahnen[433] enthält. Im Kriegsfalle wird das ganze Eisenbahngebiet im Rücken des Heeres (deutsche Eisenbahnen und etwa in Besitz genommene ausländische Bahnen) in zwei Sondergebiete geschieden. Das eine umfaßt die Eisenbahnen auf dem Kriegsschauplatze und in dessen Nähe. Auf diesem wird der sogenannte Kriegsbetrieb eingerichtet, während die übrigen Bahnen im sogenannten Friedensbetriebe verbleiben. Grenzpunkte zwischen beiderlei Strecken bilden die unter Umständen mit dem Fortschreiten des Heeres zu verschiebenden »Uebergangsstationen«. Auf diesen sollen etwaige beim Kriegsbetrieb entstandene Unregelmäßigkeiten ihre Grenze und Ausgleichung finden. Wird der Betrieb einer im Kriegsbetriebe befindlichen Eisenbahn durch die Militäreisenbahnbehörden übernommen, so geht er in den »Militärbetrieb« über.

Das deutsche Eisenbahnnetz ist für die militärische Benutzung, abweichend von den Verwaltungsbezirken, in zurzeit 22 Betriebsbezirke (Linien) geteilt. Für jede besteht eine Linienkommandantur, die den Verkehr zwischen den vorgesetzten Militäreisenbahnbehörden und den im Gebiete der Linie den Betrieb führenden Eisenbahnverwaltungen vermittelt. Letztere verbleiben beim Friedensbetriebe in ihrer Tätigkeit. Nach Bedarf wirken als Organe der Linienkommandanturen Bahnhofskommandanten. Die Linienkommandanturen unterstehen im Frieden dem Chef der Eisenbahnabteilung des preußischen Großen Generalstabs, an dessen Stelle im Krieg der Chef des Feldeisenbahnwesens tritt. Die Einheitlichkeit in der Benutzung der Eisenbahnen zur Militärbeförderung wird erreicht durch Zusammenwirken der diesen Militäreisenbahnbehörden vorgesetzten Zentralmilitärbehörden2 mit dem Reichseisenbahnamt, das in diesem Sinne Zentralzivilbehörde des Eisenbahnwesens ist. Außerdem hat zugleich die Reichspost- und -telegraphenverwaltung ihre Interessen wahrzunehmen. Die Intendanturen wirken bei der Ausführung und Vorbereitung besonderer Einrichtungen für Militärtransporte mit und sind zugleich Anweisungs- und Zahlstellen für die an die Eisenbahnen zu zahlenden Vergütungen.

Militärtransporte bestehen aus Offizieren und Mannschaften nebst Ausrüstung und Pferden sowie Kranken oder aus Pferden, mit oder ohne Ausrüstung, und Schlachtvieh oder aus Militärgut. Zu den Mannschaftstransporten gehören auch Einzelreifen von Mannschaften vom Feldwebel abwärts gegen Lösung von Militärfahrkarten bei Einberufungen, Beurlaubungen u.s.w., ferner auch Reifen andrer Personen, auf die der Militärtarif Anwendung findet (so Krankenpfleger u.s.w.). Die Militärtransporte werden in Kriegs- und Friedenszeiten mit den Zügen des öffentlichen Verkehrs befördert, soweit diese ausreichen, andernfalls mit besonderen Militärzügen, und zwar in erster Linie mit Militärbedarfszügen und Militärsonderzügen. Lassen sich zu Kriegszeiten die Militärtran spotte mit den Zügen des öffentlichen Verkehrs und mit den zwischengeschalteten Militärbedarfszügen und Militärsonderzügen nicht mehr bewirken, genügt auch die zeitweise Beschränkung, Vereinfachung oder Aussetzung der Züge des öffentlichen Verkehrs nicht, so wird der Militärfahrplan in Kraft gesetzt. Dieser wird auf Grund einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 22,5 km/Stunde (einschließlich der kleinen Aufenthalte) aufgestellt und entspricht mit der Gesamtzahl der darin aufgeführten mit gleicher Geschwindigkeit und in regelmäßigen Abständen verkehrenden Züge der vollen Leistungsfähigkeit der einzelnen Strecken und der Anschlußbahnen. Von dieser vollen Leistungsfähigkeit läßt sich mit Rücksicht auf die Uebergänge nach andern Anschlußbahnen sowie auf Unregelmäßigkeiten praktisch nur ein mehr oder weniger großer Teil ausnutzen. Nach Schmiedecke [1], S. 32, können für einen Massenbetrieb auf eingleisiger Bahn 15 Züge, auf zweigleisiger 30 Züge als mittlere Tagesleistung gelten.

Die Militärzüge haben eine größte Stärke von 110 Achsen, halbe Militärzüge eine solche von 56 Achsen. Der Lokomotivdienst wird im Frieden und ebenso im Kriege, solange der Militärfahrplan nicht in Kraft ist, von den Eisenbahnverwaltungen geregelt. Zur Durchführung des Militärfahrplans wird die Lokomotivverteilung von den Militäreisenbahnbehörden im ganzen geregelt. Die Wagengestellung geschieht auch im Kriege, soweit möglich, durch die Eisenbahnverwaltungen selbständig. Nötigenfalls erfolgt im Kriege der Wagenausgleich unter Mitwirkung und nach Anordnung der Militäreisenbahnbehörden.

Eigenart und Umfang der Militärtransporte bedingen Berücksichtigung bei der Anordnung der für den allgemeinen Verkehr dienenden Eisenbahnanlagen, außerdem aber Erweiterungen und Ergänzungen der festen und beweglichen Anlagen, die in Friedenszeiten teils ausgeführt, teils so vorbereitet werden, daß sie im Falle einer Mobilmachung sogleich in Benutzung genommen werden können. Hierher gehören namentlich die Einrichtung der Wagen und die Vorhaltung der Ausrüstungsgegenstände (Bänke, Vorlegebäume, Schutzbretter, Laternen u.s.w.) in Zwecken der Militärbeförderung (auch die Einrichtung der Sanitätszüge), die Einrichtung von Ladestellen, die Einrichtungen zur Verpflegung (Verpflegungs-, Marketenderei- und Tränkstationen), die Einrichtungen für den Etappendienst (Etappenanfangsorte, Sammelstationen, Etappenhauptorte mit zugehörigen Krankensammelstellen). Zu Zwecken der Landesverteidigung werden auch unter Umständen besondere Bahnen schon zu Friedenszeiten erbaut, namentlich um für den Aufmarsch möglichst viele voneinander unabhängige Bahnlinien zur Verfügung zu haben. Der Bau und die Wiederherstellung von Eisenbahnen und von Feldbahnen im Kriege geschieht durch die Eisenbahntruppen (s. Verkehrstruppen).


Literatur: [1] Schmiedecke, Die Verkehrsmittel im Kriege, Berlin 1906. – [2] Scholz (in Rölls Encyklop. S. 2400), Militärbeförderung auf Eisenbahnen. – [3] Budde, Die französischen Eisenbahnen im deutschen Kriegsbetriebe 187071, Berlin 1903. – [4] Cauer, Betrieb und Verkehr der Preußischen Staatsbahnen, Berlin 1897, I, S. 48 ff. – [5] Zahlreiche Dienstvorschriften (vgl, [1], wo auch weitere Literaturangaben).

Cauer.

1Es würde zu weit führen, hier ebenso auf die Einrichtungen andrer Länder einzugehen, die beispielsweise in Frankreich den deutschen sehr ähnlich sind.
2Hierbei kommen auch die bayrischen Reservatrechte in Betracht.
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 6 Stuttgart, Leipzig 1908., S. 433-434.
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