Anrüchigkeit

[554] Anrüchigkeit, im allgemeinen übler Ruf. In der Rechtswissenschaft bedeutet A. oder Unehrlichkeit eine Schmälerung der bürgerlichen Ehre und demgemäß der Rechtsfähigkeit, welche die Folge gewisser Eigenschaften einer Person war. Solche Eigenschaften waren früher die uneheliche Geburt und das Gewerbe des Abdeckers (Kavillers). Im Mittelalter erstreckte sich die A. sogar auf die nützlichsten Gewerbe, als: Müller, Schäfer, Weber; aber schon die Reichspolizeiverordnung von 1577 beschränkte die A., und nach einem Reichsschluß von 1731 blieben nur noch der Abdecker und seine ihm beim Geschäft beistehenden Kinder sowie die unehelichen Kinder dem Makel der A. unterworfen. Die Wirkung der A. bestand in der Unfähigkeit zum Eintritt in Zünfte und Korporationen, zur Ordination und zum Lehnserwerb. Nach einem Reichsschluß von 1772 konnte die A. durch Ehrhaftmachung durch den Landesherrn aufgehoben werden. Neben dieser A. im engern Sinne, die ein rein deutschrechtliches Institut war, nehmen einige Rechtslehrer auch eine A. im weitern Sinn an und begreifen unter dieser auch die Verächtlichmachung (turpitudo), die lediglich Folge der Verurteilung durch die öffentliche Meinung wegen unsittlicher Lebensführung ist und namentlich Vagabunden, Zigeunern, Lustdirnen, Kupplern und dergleichen Klassen anhaftet. Als ihre rechtlichen Wirkungen werden bezeichnet: verminderte Glaubwürdigkeit, Unfähigkeit zum Eintritt in ehrenhafte Genossenschaften, zur Ausübung gewisser Berufsarten, zur Übernahme einer Vormundschaft u. dgl. Als ein eigentliches Rechtsinstitut ist jedoch die Verächtlichkeit nicht anzusehen, vielmehr hängen deren Wirkungen lediglich vom richterlichen Ermessen in einzelnen Fällen ab. Nach dem deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch ist A., d.h. ehrloses oder unsittliches Verhalten, Ehescheidungsgrund (§ 1568), ferner berechtigt ehrloser und unsittlicher Lebenswandel nach § 2333, Ziff. 5, zur völligen Enterbung. Die Gewerbeordnung bestimmt in § 123, Ziff. 2, daß wegen liederlichen Lebenswandels Gesellen und Gehilfen jederzeit ohne Kündigung entlassen werden können. Vgl. Beneke, Von unehrlichen Leuten (2. Aufl., Berl. 1889).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1905, S. 554.
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