Ausflußgeschwindigkeit

[135] Ausflußgeschwindigkeit, die Geschwindigkeit, mit der ein flüssiger oder gasförmiger Körper aus einer Öffnung des ihn enthaltenden Gefäßes ausströmt. Da während des Ausströmens einer bestimmten Flüssigkeitsmenge die Oberfläche der Flüssigkeit sinkt, somit die potentielle Energie der Flüssigkeit kleiner wird, und zwar um denselben Betrag, als ob die ausgeflossene Menge von der Oberfläche bis zur Öffnung herabgesunken wäre, muß nach dem Gesetz der Erhaltung der Energie die gewonnene Bewegungsenergie der ausgeflossenen Menge diesem Energieverluste gleich sein. Ist p das Gewicht, m die Masse, v die Geschwindigkeit der ausgetretenen Flüssigkeit und bezeichnet man mit h die vertikale Tiefe der Öffnung unter der Flüssigkeitsoberfläche (Druckhöhe) und mit g die Beschleunigung der Schwere (g = 9m, 81), so ist hiernach p.h = 1/2mv2, somit v = √2gh, d. h. die A. ist ebenso groß, als ob die Flüssigkeit vom Flüssigkeitsspiegel bis zur Öffnung frei herabgefallen wäre (Torricellis Lehrsatz). Die A. hängt demnach nur von der Druckhöhe, nicht aber von der Natur der Flüssigkeit ab, so daß bei gleicher Druckhöhe Wasser und Quecksilber gleichschnell ausfließen. Da der Druck in einer Flüssigkeit nach allen Richtungen hin gleichstark wirkt, so ist es für die A. gleichgültig, ob sich die Öffnung im Boden oder in einer Seitenwand des Gefäßes befindet, ob der ausfließende Strahl nach abwärts, nach seitwärts oder nach aufwärts gerichtet ist. Hätte der ausfließende Strahl eine zylindrische Gestalt, so könnte man das in der Sekunde ausgeflossene Flüssigkeitsvolumen leicht berechnen, indem man die A. mit dem Flächeninhalte der Öffnung multipliziert. Der Strahl zieht sich jedoch zusammen, so daß sein Querschnitt in geringer Entfernung von der Öffnung nur noch 0,62 von demjenigen der Öffnung beträgt. Um die wirkliche Ausflußmenge zu erhalten, muß man daher die oben berechnete sogen. theoretische Ausflußmenge noch mit 0,62 multiplizieren. Diese Zusammenziehung des Strahles rührt hauptsächlich davon her, daß die Flüssigkeitsteilchen im Innern des Gefäßes von allen Seiten her konvergierend nach der Öffnung strömen und daher an den Rändern der Ausflußöffnung mit einer seitlich gerichteten Geschwindigkeit ankommen. Alles Bisherige gilt nur für Öffnungen in dünner Gefäßwand. Durch kurze zylindrische oder nach außen konisch erweiterte Ansatzröhren wird, wenn die Flüssigkeit an den Wänden der Röhre adhäriert und dieselbe ganz ausfüllt, die Ausflußmenge vermehrt, die A. dagegen vermindert. Öffnungen in dicker Wand wirken wie Ansatzröhren. Für die A. der Gase gilt ebenfalls das Torricellische Gesetz, falls man unter der Druckhöhe h die Höhe einer Gassäule von der Dichte des ausströmenden Gases versteht. Bezeichnet man mit h' den manometrisch als Höhe einer Quecksilbersäule gemessenen Überdruck des eingeschlossenen [135] Gases, mit s´ das spezifische Gewicht des Quecksilbers, mit s dasjenige des Gases (beide auf Wasser als Einheit bezogen), so verhält sich die Druckhöhe h, die in Rechnung zu bringen ist, zu der Quecksilbersäule h' wie s´ zu s; es ist also h = h´s´/s und v = √2gh´s´/s, woraus das von Graham aufgestellte Gesetz sich ergibt, daß die Ausflußgeschwindigkeiten verschiedener Gase bei gleichem Druck den Quadratwurzeln aus ihren spezifischen Gewichten umgekehrt proportional sind. Daz. B. Wasserstoffgas 16mal weniger dicht ist als Sauerstoffgas, so strömt jenes unter gleichem Druck 4mal schneller aus als dieses. Bunsen hat hierauf eine Methode zur Bestimmung der spezifischen Gewichte der Gase gegründet.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1905, S. 135-136.
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