Brillenschlange

[423] Brillenschlange (Naja Laur.), Gattung der Prunknattern (Elapidae), Schlangen mit in der Mitte etwas verdicktem Körper, kleinem, vom Halse wenig abgesetztem Kopf, zugespitztem Schwanz, großen, regelmäßigen Schildern auf dem Kopfe, rautenförmigen Schuppen auf der Oberseite des Körpers und großen Schildern auf der Unterseite. Sie vermögen die vordern Rippen seitlich zu richten und dadurch den entsprechenden Körperteil scheibenförmig so stark aufzublähen, daß er den Kopf an Breite bedeutend übertrifft (Schildvipern,-Otern, Hutschlangen). Der Rachen ist weit gespalten, im Oberkiefer stehen zwei starke, gefurchte Giftzähne und hinter diesen derbe Hakenzähne. Die gemeine B. (N. tripudians Merr., s. Tafel »Schlangen II«, Fig. 2), bis 1,8 m lang, bräunlichgelb, unten schmutzig weiß, auf dem hellgelben, dunkler getüpfelten Hals meist mit brillenartiger Zeichnung, lebt in Südasien und auf den meisten benachbarten Inseln in verlassenen Termitenhügeln, in altem Gemäuer und in Abzugsgräben in der Nähe menschlicher Wohnungen. Beim Angriff richtet sie sich empor und bläht den Hals auf. Sie nährt sich von Kriechtieren und Lurchen, Mäusen, Ratten und jungen Hühnern und plündert Vogelnester. Sie schwimmt und klettert gut und ist besonders in der Abenddämmerung tätig. Das Weibchen legt bis 18 weiße Eier von der Größe der Taubeneier. Die B. beißt nur, wenn sie gereizt wird; ihr Biß ist höchst gefährlich, und die Furcht vor der B. ist in einigen Gegenden so groß, daß man Nahrungsmittel an ihren Aufenthaltsort trägt, um sie von den Wohnungen entfernt zu halten. Die Hindu erweisen ihr in den Tempeln göttliche Ehre. Gaukler und Brahmanen hingegen richten sie zu Kunststücken ab, wobei die Sicherheit der Gaukler auf einer genauen Kenntnis der Gewohnheiten der Schlange beruht. Gegen den Biß gebrauchen die Eingebornen den porösen »Schlangenstein«, der sich fest an die Wunde ansaugt und wie ein Schröpfkopf wirkt. Er besteht[423] im wesentlichen aus gebrannten Knochen. Mit großem Erfolg behandelt man die Wunden mit Ammoniak und gibt innerlich sehr große Dosen Alkohol. Die ägyptische B. (Uräusschlange, Ara, Kleopatraschlange, Haie, Speischlange, N. Haie Merr., s. Tafel »Schlangen II«, Fig. 4), über 2 m lang, auf der Oberseite strohgelb mit breiten, dunkeln Querbändern in der Halsgegend, auf der Unterseite licht gelb, lebt in ganz Afrika in Höhlungen, unter Gestein und Trümmern, im Wald, in der Steppe und in der Wüste. Sie nährt sich von Mäusen, Vögeln und Reptilien, schwimmt und klettert gut, bläht beim Angriff den Hals auf und speit auf Entfernung von 1 m gegen den Angreifer, dabei immer nach den Augen zielend. Der giftige Speichel erzeugt auf der unversehrten Haut Blasen und auf der Augenbindehaut eine stürmische, äußerst schmerzhafte Entzündung. Sie beißt nur, wenn sie gereizt wird. Die ägyptischen Gaukler richten sie zu Kunststücken ab. Durch einen Druck der Hand auf Nacken und Kopf der Schlange verfällt sie in eine Art von Starrkrampf und wird steif wie ein Stock, wie die Zauberer schon zu Pharaos Zeiten wußten. Die alten Ägypter ehrten sie als Beschützer ihrer Felder und bildeten sie häufig ab an beiden Seiten einer Erdkugel. Sie hieß bei ihnen Ara, bei den Griechen und Römern Aspis. Der Held Ra, die Mittagssonne, trägt die Uräusschlange an seinem Diadem, und ebenso fehlt sie wegen ihrer schnellen Macht über Leben und Tod an keinem Diadem der Pharaonen. Ost diente sie zum Hinrichten von Verbrechern und zum Selbstmord (Kleopatra), da die nächste Wirkung des schnell tötenden Bisses eine schmerzlose Betäubung sein sollte.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1905, S. 423-424.
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