Ewiges Evangelium

[205] Ewiges Evangelium (lat. Evangelium aeternum) nannte man nach Offenb. 14,6 die Schriften des Abtes Joachim von Floris (Fiore) in Kalabrien (gest. 1202, s. Floriazenser), der nicht selbst Prophet sein, wohl aber die Gabe besitzen wollte, die biblischen Weissagungen zu deuten, und später als nationaler Prophet Italiens galt. Seiner drei Schriften (»Liber concordantiae Novi et Veteris Testamenti«, »Psalterium decem chordarum«, »Expositio in Apocalypsin«)[205] bemächtigte sich der apokalyptische Fanatismus der gegen Rom immer feindlicher auftretenden spiritualistischen Franziskaner. Um 1254 schrieb der Minorit Gherardino von Borgo San Donnino eine Einleitung (»Liber introductorius«) zu den unter dem Namen »e. E.« zusammengestellten Büchern des Joachim, worin das Papsttum geradezu als ungeistliche Macht, ja sogar das apostolische Christentum selbst als eine unvollkommene Stufe der Entwickelung erscheint. Die Schrift wurde auf päpstlichen Befehl konfisziert, der Verfasser büßte mit 18jähriger Kerkerhaft. Vgl. Schneider, Joachim von Floris und die Apokalyptiker des Mittelalters (Dillingen 1873); Preger, Das Evangelium aeternum und Joachim von Floris (Münch. 1874); Reuter, Geschichte der religiösen Aufklärung im Mittelalter, Bd. 2 (Berl. 1877); Döllinger, Der Weissagungsglaube und das Prophetentum in der christlichen Zeit (»Kleine Schriften«, hrsg. von Reusch, Stuttg. 1890).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 6. Leipzig 1906, S. 205-206.
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