Ewiges Leben

[206] Ewiges Leben heißt in der religiösen Weltanschauung, zumal in der christlichen, der Vollendungszustand des persönlichen Wesens. Damit er nicht »ewig lebe« und dadurch zur gewonnenen Erkenntnis auch das andre Stück der Gottgleichheit an sich reiße, wird der Mensch (1. Mos. 3,22) aus dem Paradies verbannt. Daß aber e. L. fließe aus der Gemeinschaft mit Gott, dem ewig Lebendigen, ist eine Idee, die das sonst nicht über die Grenzlinie des Diesseits sich erhebende Bewußtsein des ältern Hebräertums schon in den Psalmen (16,10. 11; 73,26) zuweilen durchbricht. Insonderheit aber bildet sie im Unterschied von dem griechischen Schulbegriff der Unsterblichkeit (s.d.) und dem das nachexilische Judentum kennzeichnenden Dogma von der Auferstehung die spezifisch christliche Form des Zukunftsglaubens, wie sie be sonders in dem vierten Evangelium ausgeführt wird. Den absoluten Wert des im christlichen Gottesbewußtsein zur sittlichen Reise gediehenen persönlichen Geisteslebens feststellend, entzieht sich die Vorstellung vom ewigen Leben freilich allen weitern verstandesmäßigen Bestimmungen, sofern sie, als Zustand fertiger Vollendung gedacht, den Begriff des endlichen und geschöpflichen Daseins, als endlose Fortentwickelung vorgestellt, den religiösen Grundgedanken eines definitiv erreichten Zieles aufhebt.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 6. Leipzig 1906, S. 206.
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