Unsterblichkeit

[933] Unsterblichkeit (U. der Seele), die Fortdauer der Persönlichkeit nach dem Tode des Leibes, auf der Stufe der Naturreligion fast überall in Gestalt des Geister- oder Gespensterglaubens, in den Religionen des Altertums entweder in der Form der Seelenwanderung (Indien, Orphiker in Griechenland) oder in derjenigen eines Schattenlebens im Hades (griechische Volksreligion) oder im Scheol (Hebräer) u. dgl. auftretend, dagegen im Parsismus, im spätern Judentum, im Christentum und Islam fast unablösbar verbunden mit der Vorstellung der Auferstehung (s. d.). In schulmäßiger Form wurde der Begriff der U. zuerst entwickelt und begründet von Platon, Cicero und andern Philosophen des Altertums. Im Anschluß an ihre Methode hat die spätere Metaphysik die U. auf verschiedene Art zu beweisen gesucht. Der ontologische (metaphysische) Beweis leitet sie ab von dem Begriff der Immaterialität, Einfachheit und Unteilbarkeit der Seele, der teleologische dagegen aus der Bestimmung des Menschen, sich von den äußerlichen, räumlich-zeitlichen Bedingungen seines Geisteslebens immer unabhängiger zu machen und sämtliche Anlagen zur Entwickelung zu bringen, eine Aufgabe, zu deren Lösung die Verhältnisse dieser Erde unzulänglich befunden werden. Der theologische Beweis stützt sich auf die Weisheit, Gerechtigkeit und Güte Gottes, die es mit sich bringen, daß den Absichten, mit denen er persönliche Geschöpfe ins Dasein gerufen, auch ihre Verwirklichung verbürgt sein müsse, was auf dieser Erde keineswegs der Fall. Der moralische Beweis kommt auf das in diesem Leben niemals befriedigte, aber mit unverjährbaren Rechten ausgestattete Bedürfnis nach einer Ausgleichung von innerm Wert und äußerm Befinden zurück. Der analogische Beweis ist aus den Erscheinungen der irdischen Natur entnommen, indem sich hier aus dem Tode immer wieder neues Leben entwickele. Der kosmische Beweis nimmt seine Gründe aus dem Vorhandensein unendlich vieler Welten, die miteinander in Verbindung stehen und zahllose Übungsplätze für die fortgehende Entwickelung der Weltwesen darbieten. Der historische Beweis betont die Allgemeinheit des Glaubens an U., sucht zugleich nach Tatsachen der Erfahrung für die Gewißheit der U. (Auferstehung Christi) und beruft sich zumeist auf die Aussprüche der Offenbarung. Zuletzt gehen alle diese Beweise auf das echt menschliche Bewußtsein zurück, als sittliche Persönlichkeit der materiellen Natur überlegen zu sein, in einer Welt der Freiheit höhern Gesetzen des Daseins zu folgen als die materielle Natur. Der diesen Anspruch als eine Täuschung der Eigenliebe bekämpfende, dabei auch auf die Abhängigkeit des geistigen vom körperlichen Leben verweisende Materialismus ist daher in alter und neuer Zeit der erfolgreichste Gegner auch jeglichen Glaubens an U. gewesen. Aber auch vom idealistischen Standpunkt aus ist er bekämpft worden. Als ein Lieblingskind der Aufklärungszeit und des Rationalismus fand er besonders innerhalb der Schule Hegels Beanstandung, indem deren pantheistische Richtung die Fortdauer des Individuums aufheben zu müssen und nur für eine Rückkehr des individuellen Geistes in das Allgemeine Platz zu haben schien. Ausdrücklich wurde diese Meinung ausgesprochen von RichterLehre von den letzten Dingen«, Berl. 1833,2. Bd. 1841). Dagegen suchte Göschel in den Schriften: »Von den Beweisen für die U. der menschlichen Seele im Lichte der spekulativen Philosophie« (Berl. 1835) und »Die siebenfältige Osterfrage« (das. 1836) die Hegelsche Philosophie gegen diesen Vorwurf zu verteidigen. Eine tiefere Begründung fand die Idee der U. bei den Anhängern des sogen. spekulativen Theismus, insonderheit bei Weiße (»Die philosophische Geheimlehre von der U. des menschlichen Individuums«, Dresd. 1834) und J. H. Fichte (»Die Idee der Persönlichkeit und der individuellen Fortdauer«, Elberf. 1834; 2. Aufl., Leipz. 1855; »Die Seelenfortdauer und die Weltstellung des Menschen«, das. 1867). Vom naturwissenschaftlichen Standpunkt aus besprach die Sache Fechner in seinem »Büchlein vom Leben nach dem Tod« (Leipz. 1836, 6. Aufl., Hamb. 1906) und im 3. Teil seines »Zendavesta« (Leipz. 1851, 3. Aufl., 1. u. 2. Bd., Hamb. 1906). Gegenwärtig wird zumeist die Ansicht vertreten, daß ein zwingender Beweis weder für noch gegen die U. geführt werden könne. Vgl. für persönliche U.: Teichmüller, Über die U. der Seele (2. Aufl., Leipz. 1879); Runze, U. und Auferstehung (1. Teil, Berl. 1894); Schwartzkopff, Das Leben nach dem Tode (2. Aufl., Braunschw. 1901); Kneib, Die U. der Seele (Wien 1900) und Die Beweise für die U. der Seele (Freiburg 1903); Steude, Praktische Apologetik, Heft 1: Die Unsterblichkeitsbeweise (Gütersl. 1904); gegen persönliche U.: H. Graf Keyserling, U. Eine Kritik der Beziehungen zwischen Naturgeschehen und menschlicher Vorstellungswelt (Münch. 1907). Zur Geschichte der Unsterblichkeitsvorstellungen vgl. Rohde, Psyche. Seelenkult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen (4. Aufl., Tübing. 1907, 2 Bde.); Radermacher, Das Jenseits im Mythos der Hellenen (Bonn 1903); Bertholet, Die israelitischen Vorstellungen vom Zustand nach dem Tode (Tübing. 1899), Die Gefilde der Seligen (das. 1903) und Seelenwanderung (Halle 1904); Lods, La croyance à la [933] vie future et le culte des morts dans l'antiquité Israélite (Par, 1906. 2 Tle.); G. Hoffmann, Das Wiedersehen jenseits des Todes (Leipz. 1906).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 19. Leipzig 1909, S. 933-934.
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