Psyche [1]

[422] Psyche (griech.), ursprünglich Hauch, Atem; nach Platon und andern griechischen Philosophen das innere, geistige Leben des Menschen, daher soviel wie Seele; bei den Gnostikern auch die feinere Materie, woraus der Himmel gebildet ist. Als das schattenhafte Ebenbild des Menschen, das im Leben in ihm ist, im Tod aber frei wird (entfliegt), wurde P. in der Kunst dargestellt als kleines, geflügeltes Figürchen, später als Schmetterling. Die Allegorie von der Liebe des Eros (s. d.) zu P., von Meleagros (1. Jahrh. v. Chr.) schon als bekannt vorausgesetzt, liegt zahlreichen Bildwerken zugrunde, die bald P. von Eros gequält, gefesselt und gezüchtigt und darüber weinend und klagend, bald sich an Eros rächend oder endlich beide im Kuß vereinigt darstellen, wie in der berühmten Gruppe des kapitolinischen Museums zu Rom (s. Tafel »Bildhauerkunst V«, Fig. 10). Diese Vorstellungen hat Apulejus (s. d.), vermutlich nach einem griechischen Vorbild, zu einem anmutigen Märchen verarbeitet. Ein König hatte drei Töchter, davon P. die jüngste und schönste. Amor faßt gegen den Willen seiner Mutter Venus heftige Neigung zu ihr und läßt sie durch Zephir an einen einsamen Ort entführen, wo er sie jede Nacht, von ihr ungesehen und unerkannt, besucht. Von ihren Schwestern verleitet, forscht sie, gegen sein Verbot, eines Nachts nach seinem Antlitz und wird deshalb von ihm verlassen. Nach langem Umherirren fällt sie Venus in die Hände und wird von ihr zu vier schweren Arbeiten verurteilt. Durch viele Leiden geläutert, findet sie endlich Amor wieder, auf dessen Bitten sie Jupiter unsterblich macht und ihm zur Frau gibt. Beider Tochter ist Voluptas[422] (»Wonne«). Vgl. Rohde, Psyche. Seelenkult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen (3. Aufl., Tübing. 1903, 2 Bde.); Friedländer, Über das Märchen von Amor und P. (in »Darstellungen aus der Sittengeschichte Roms«, Bd. 1, 7. Aufl., Leipz. 1901); Schaller, De Psycha et Cupidine (das. 1901); über die künstlerischen Darstellungen: Conze, De Psyches imaginibus (Berl. 1855); Collignon, Essai sur les monuments relatifs an mythe de Psyché (Par. 1877); Hirsch, De animarum apud antiquos imaginibus (Leipz. 1889). Unter den modernen künstlerischen Behandlungen des Märchens sind Raffaels Bilderzyklus in der Farnesina zu Rom und die plastischen Gruppen von Thorwaldsen und Canova hervorzuheben.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 16. Leipzig 1908, S. 422-423.
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