Fabliau

[244] Fabliau (franz., spr. -lió, oder Fableau, spr. -ló, eigentlich Fablel), schwankhafte Erzählung in Versen. Die älteste ist von 1159 und hat eine Pariser Kurtisane, Richeut, zur Heldin; die meisten sind im 13. und im Anfang des 14. Jahrh. verfaßt. Sie sind oft von einer zynischen Ausgelassenheit und dienten offenbar der geselligen Unterhaltung erst, wenn sich die Damen zurückgezogen hatten. Sie werden daher mit Recht als die Hauptvertreter des sogen. esprit gaulois angesehen. Am ärgsten werden die Bauern und die niedern Geistlichen darin mitgenommen, die Ritter, die Bürger und der höhere Klerus mehr verschont. Die Stoffe sind vielfach orientalischen Ursprungs und teils durch mündliche Erzählungen der Kreuzfahrer, teils durch literarische Vermittelung der spanischen Araber ins Abendland gekommen. Vgl. Benfeys Einleitung zum »Pantschatantra« (Leipz. 1859); Landau, Die Quellen des Decamerone (2. Aufl., Stuttg. 1884); Bédier, Les Fabliaux (2. Aufl., Par. 1895). Boccaccio, Chaucer, Rabelais, Molière und Lafontaine haben mehrfach aus den Fabliaus oder indirekt aus deren Ausflüssen ihre Stoffe geschöpft. Einige der bekanntesten sind »Es-tu là«, »La housse partie«, »La bourgeoise d'Orléans«, »Le meunier d'Arleux«, »Die lange Nacht«. Die Sammlung von de Montaiglon und Raynaud, »Recueil général et complet des fabliaux« (Par. 1872–90, 6 Bde.), hat die ältern Sammlungen von Barbazan (1756, 3 Bde.), Méon (1808–23, 6 Bde.) und Jubinal (1839, 2 Bde.) überflüssig gemacht. Viele sind von dem Jesuiten Legrand d'Aussy in Prosa nacherzählt (»Fabliaux et contes«, Par. 1779, 5 Bde.; deutsch von Lütkenmüller, Halle 1795–97, 4 Bde.) und in dieser Form von modernen Schriftstellern häufig als Stoffquelle benutzt worden.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 6. Leipzig 1906, S. 244.
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