Formelle Wahrheit

[768] Formelle Wahrheit wird genannt, was die Parteien im Zivilprozeß zufolge einer rechtskräftigen Entscheidung als wahr gelten lassen müssen. Die s. W. deckt sich nicht immer mit der materiellen, da diese infolge eines Mangels an Beweismitteln, unrichtige Aussagen von Zeugen etc. nicht in allen Fällen ermittelt werden kann, der Rechtskraft (s.d.) aber gewisse Wirkungen beigelegt werden müssen. In gewissem Umfange bietet die Wiederaufnahme des Verfahrens (s.d.) Abhilfe gegen unrichtige rechtskräftige Entscheidungen. Von formeller Wahrheit wird auch gesprochen, soweit freie Beweiswürdigung nicht besteht, das Gericht vielmehr ganz unabhängig von seiner Überzeugung gewisse Behauptungen als wahr oder als unwahr ansehen muß (s. Beweistheorie). In diesem Sinne wird s. W. begründet durch Eidesleistungen (s. Eid), durch das gerichtliche Geständnis (s.d.) sowie durch Urkunden, deren Inhalt nach dem Gesetz als wahr gilt (s. Urkundenbeweis).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 6. Leipzig 1906, S. 768.
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