Zivilprozeß

[968] Zivilprozeß (lat.), Inbegriff der Rechtsgrundsätze über das Verfahren, in dem privatrechtliche Rechtsansprüche zur gerichtlichen Anerkennung gebracht werden sollen, ferner dieses Verfahren selbst. Im erstern Sinn ist Z. gleichbedeutend mit Zivilprozeßrecht. Ein ausführliches, das Verfahren im Z. ordnendes Gesetz wird gewöhnlich Zivilprozeßordnung (s. d.) genannt. Den Gegensatz zum Z. bildet zunächst der Strafprozeß. Gegenstand eines Zivilprozesses (Zivilprozeßsache oder Bürgerliche Rechtsstreitigkeit s. d.) ist stets ein privatrechtlicher Anspruch. Aber damit ist das Gebiet des Zivilprozesses noch nicht völlig abgegrenzt. Dem streitigen Gerichtsverfahren ist auch noch dasjenige Gebiet der Rechtspflege entgegenzustellen, auf dem zwischen den beteiligten Personen ein Streit nicht obwaltet, in dem die richterliche Tätigkeit vielmehr nur eintritt, um Rechte zu sichern und Rechtsverhältnisse klarzustellen und za schützen. Dies ist das Gebiet der sogen. freiwilligen Gerichtsbarkeit, zu dem z. B. das gerichtliche Hypothekenwesen, das Grundbuchwesen, die Verlautbarung gewisser Verträge, das Vormundschaftswesen u. dgl. gehören. Auch Bürgerliche Rechtsstreitigkeiten (s. d.) sind übrigens nur unter der Voraussetzung im Z. zu erledigen, daß sie nicht kraft besonderer Vorschrift an Verwaltungsbehörden oder Verwaltungsgerichte zur Entscheidung verwiesen sind (s. Administrativjustiz und Verwaltung). Das Zivilprozeßrecht ist wesentlich formelles Recht; es bestimmt die Formen, in denen das materielle Zivilrecht (Privatrecht, bürgerliches Recht) verwirklicht und nötigenfalls erzwungen werden kann. Es ist aber auch öffentliches Recht, indem es die Rechtsverhältnisse des einzelnen der Staatsgewalt gegenüber betrifft (s. Recht). Ein sogen. Konventionalprozeß, in dem die Parteien selbst bestimmen, wie verfahren werden soll, ist im allgemeinen ausgeschlossen; in einzelnen Richtungen werden diesen aber durch das Gesetz bestimmte Befugnisse eingeräumt.

In Deutschland bestand bis zum 1. Okt. 1879 ein Gegensatz zwischen gemeinem deutschen Z. und dem besondern Z. der einzelnen deutschen Staaten. Grundlagen des gemeinen deutschen Zivilprozesses waren das römische und das kanonische Recht. An die Stelle des ursprünglichen mündlichen Verfahrens vor Schöffen aus dem Laienstand trat nämlich vom 13. Jahrh. an allmählich der bei den geistlichen Gerichten ausgebildete schriftliche Z., und die Rechtsprechung gelangte mehr und mehr in die Hände rechtsgelehrter Richter, durch deren Einfluß die fremden Prozeßnormen in Deutschland Eingang fanden. Zur Vollendung kam dies Prozeßverfahren durch die Anwendung und weitere Ausbildung bei den Reichsgerichten. Die Reichsgesetzgebung regelte den Z. durch verschiedene Reichsgesetze, insbes. die Reichskammergerichtsordnung von 1495, zuletzt erneuert und vervollständigt 1555, den Deputationsabschied von 1600 und den jüngsten Reichsabschied von 1654. Diese Gesetze hatten zunächst nur das Verfahren bei den Reichsgerichten zum Gegenstand. Bei den Landesgerichten bildete sich im Anschluß an jenes Verfahren durch den Gerichtsgebrauch in den einzelnen Rechtsgebieten der Landesprozeß aus, für den das Reichsprozeßrecht als »subsidiäre Rechtsquelle« betrachtet wurde. Namentlich war unter den Landesprozessen der sächsische Z. von Bedeutung. Im gemeinen Prozeß bestand (wie in vielen neuern Prozeßordnungen) ein Unterschied zwischen dem ordentlichen Prozeß (dem regelmäßigen Verfahren) und dem Summarischen Prozeß (s. d.). In Preußen galt lange die allgemeine Gerichtsordnung von 1795, an die sich dann Gesetze von 1833, 1846 und 1849 über das Prozeßverfahren und über die Gerichtsorganisation anschlossen. Von neuern Prozeßordnungen sind zu erwähnen: die braunschweigische vom 19. März 1850, die hannoversche vom 8. Nov. 1850, die oldenburgische vom 2. Nov. 1857, die badische vom 18. März 1864, die württembergische vom 3. April 1868 und die bayrische vom 29. April 1869. Der französische Code de procédure civile von 1806, der auf die deutschen Prozeßgesetze, insbes. auf die Prozeßordnungen der Königreiche Hannover und Bayern erheblichen Einfluß übte, behauptete sich sogar in Rheinpreußen, Rheinbayern und Rheinhessen bis in die neueste Zeit. Jetzt besteht im Deutschen Reich im Z. ein einheitliches Verfahren, das durch die deutsche Zivilprozeßordnung (s. d.) geregelt wird. Wegen des in Österreich geltenden Rechts s. Zivilprozeßordnung.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 20. Leipzig 1909, S. 968.
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