Gerichtsgebrauch

[640] Gerichtsgebrauch (Usus fori), die Gleichförmigkeit der Grundsätze, die ein Gericht in Ansehung des gerichtlichen Verfahrens (formeller G.) oder bei Entscheidung vorkommender Fälle (materieller G.) beobachtet. An und für sich hat der Richter unabhängig vom G. die Gesetze auf den einzelnen Fall anzuwenden. Wie aber von jeher die Entscheidungen besonders angesehener Gerichtshöfe gewohnheitsrechtlich maßgebend wurden, wie die Entscheidungen des Reichskammergerichts in Deutschland reichsrechtliche, diejenigen oberster Landesgerichte landesrechtliche Geltung erhielten, wie noch heute in Österreich die sogen. Judikatensammlung des Obersten Gerichtshofs in Wien maßgebend für gleichgelagerte Fälle ist, so wird auch jetzt die gleichförmige Übung der obersten Gerichte und insonderheit des Reichsgerichts in Leipzig einen entscheidenden Einfluß auf die Rechtsprechung ausüben, und deshalb wird nach wie vor der G. wenn auch nicht Gesetzesnorm, so doch gesetzesgleiche Norm schaffen. Vgl. O. v. Bülow, Gesetz und Richteramt (Leipz. 1885).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 7. Leipzig 1907, S. 640.
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