Reichskammergericht

[738] Reichskammergericht, im ehemaligen Deutschen Reiche neben dem Reichshofrat das höchste Gericht, das 1495 von Kaiser Maximilian I. zunächst für Landfriedensbruchsachen eingesetzt ward. Dasselbe bestand aus dem vom Kaiser ernannten Kammerrichter fürstlicher oder gräflicher Abkunft als Vorsitzendem, zwei Kammerpräsidenten, die ebenfalls vom Kaiser ernannt, und aus den Reichskammergerichtsassessoren, die vom Kaiser, den Kurfürsten und Kreisen nach bestimmtem Verhältnis gewählt wurden. Ihre Zahl war im Westfälischen Frieden auf 50 festgesetzt, doch war wegen Geldmangels diese Zahl nie voll; ein Reichsbeschluß von 1719 setzte sie auf 25 herab, und selbst diese Zahl wurde erst seit 1782 wirklich eingehalten. Dazu kamen außer dem Kanzleipersonal 30 Reichskammergerichtsprokuratoren und 12 Reichskammergerichtsadvokaten. Der Sitz des Gerichts war anfangs in Frankfurt, seit 1693 aber, nach manchem Wechsel, in Wetzlar. Unterhalten wurde das R. von gewissen Abgaben der Reichsstände, den sogen. Kammerzielern, die aber sehr unregelmäßig eingingen, und durch Sporteln. Das R. urteilte über alle Rechtssachen der Reichsunmittelbaren, war zugleich höchste Instanz in Zivilsachen für die Reichsmittelbaren, sofern es nicht durch die Privilegien de non appellando verschiedener Reichsstände, namentlich der Kurfürsten, beschränkt war, und nahm Beschwerden über verweigerte oder verzögerte Justiz und in Kriminalsachen auch wegen Nichtigkeit an. Endlich konnten auch die Untertanen gegen den Landesherrn und gegen beschwerende Regierungsmaßregeln die Hilfe des Reichskammergerichts in Anspruch nehmen. Der Geschäftsgang war in den Reichskammergerichtsordnungen von 1495 und 1555 vorgeschrieben. Die neue, 1613 dem Reichstag vorgelegte Ordnung blieb Entwurf, ist aber für die Entwickelung des deutschen Zivilprozeßrechts immerhin von Wichtigkeit gewesen. Bei aller Langsamkeit und Unzulänglichkeit seiner Rechtsprechung hat das R. doch zur Erhaltung der deutschen Rechtseinheit beigetragen, bis es mit der Auflösung des Reiches 1806 sein Ende erreichte. Soweit die Akten des Reichskammergerichts nicht unter die einzelnen Staaten verteilt wurden, sind sie in Wetzlar geblieben. S. auch Hofgericht und Reichshofrat. Vgl. G. H. v. Berg, Grundriß der reichsgerichtlichen Verfassung und Praxis (Götting. 1797); Endemann, Von dem alten R. (in der »Zeitschrift für deutschen Zivilprozeß«, Bd. 18, S. 165–227, Berl. 1893).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 16. Leipzig 1908, S. 738.
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