Geflügelcholera

[448] Geflügelcholera (wissenschaftlich korrekter Geflügeltyphoid), die gefährlichste Seuche des Geflügels, die überall, namentlich auch in Deutschland, Österreich, Italien, Rußland etc., verbreitet ist, nach ihrer Einschleppung in einen Bestand meist verheerend um sich greift und etwa 95 Proz. der Erkrankten tötet. Die G. ist schon lange bekannt und wurde früher auch Hühnercholera, Hühnerpest benannt, ergreift jedoch gleichmäßig Hühner, Gänse, Enten, Tauben, Truthühner, Pfauen etc. Sie wird erzeugt durch das Bacterium avicidum (Bacillus avisepticus), das mit den Erregern der Wildseuche, Schweineseuche und Kaninchenseptichämie eine Verwandtschaftsgruppe (Septicaemia haemorrhagica) bildet. Das Bakterium ist sehr klein (höchstens 0,001 mm), übrigens leicht zerstörbar (Austrocknung, kochendes Wasser, Desinfektion); es findet sich in den Exkrementen der Kranken und wird durch jene verbreitet, sowohl direkt auf andres Geflügel als auch auf den Erdboden und namentlich in Teichen etc. Die G. entwickelt sich in der Regel binnen zwei Tagen nach der Ansteckung (ausnahmsweise erst bis nach acht Tagen) und führt oft ganz plötzlich, ohne sichtliches vorheriges Kranken, längstens der Regel nach in 1–3 Tagen zum Tode, nur selten zu einem verschleppten Verlauf oder zur Genesung. Die Kranken zeigen Fieber, schaumigen Schnabelausfluß, Schlingbeschwerden, Erbrechen und namentlich starke Diarrhöe, schließlich Atemnot, Taumeln und Hinfälligkeit bis zur Schlafsucht. Die krankhaften Veränderungen betreffen vornehmlich den Darm (blutige Entzündung, auch käsige Herde), die Lungen (Verdichtung), auch das Herz (rot punktiert) und bisweilen das Fleisch (speckige Entartung). Das Bakterium findet sich massenhaft im Blut und läßt sich mit sicherm Erfolg auf alles andre Geflügel übertragen. Hierdurch wird die Diagnose unwiderleglich sichergestellt und die G. von jeder andern Erkrankung, die äußerlich ähnliche Erscheinungen schafft, unterschieden. So verlaufen manche Vergiftungen ähnlich wie G., nämlich die sogen. Gänsesterbe, die durch Verzehren der für Gänse besonders giftigen Kruzifere Erysimum crepidifolium verursacht wird. 1901 wurde eine vorher schon in Oberitalien beobachtete Seuche in Deutschland eingeschleppt und durch eine Geflügelausstellung zu Braunschweig plötzlich allgemein verbreitet; diese Seuche war anfangs für G. gehalten, bald jedoch als eine selbständige Seuche erkannt worden. Sie wurde zunächst als neue oder Braunschweiger Hühnerseuche bezeichnet, hat aber jetzt amtlich (s. unten) den Namen Hühnerpest erhalten. Der Name (auch Phasianidenseuche) ist deswegen zutreffend, weil diese verheerende Seuche im Gegensatz zur G. ausschließlich Hühnervögel (Phasianiden: Haus-, Perl- und Truthühner, Pfauen, Fasanen) befällt, während Tauben, Gänse und Enten dafür gänzlich unempfänglich sind. Der Erreger ist mit den heutigen Hilfsmitteln nicht nachweisbar, ist aber im Blut, Kot und Nasenschleim enthalten, weil die Seuche durch diese Stoffe übertragen wird. Die kranken Hühner werden matt, sträuben die Federn, zeigen Schlafsucht und Lähmung und sterben ausnahmslos nach 2–4 Tagen. Trotz ihrer völligen Verschiedenheit sind G. und Hühnerpest veterinärpolizeilich mit Recht zusammengefaßt, weil ihre Bekämpfung die gleichen Maßregeln erfordert. Durch Bekanntmachung des Reichskanzlers vom Mai 1903 ist die Anzeigepflicht für beide Seuchen in Deutschland eingeführt. Landespolizeilich ist im allgemeinen folgendes bestimmt: Die Einfuhr, namentlich von Hühnern aus Italien und von Gänsen aus Rußland, ist der Überwachung und Beschränkung unterworfen. Das Treiben von Geflügel, außer zu Weidezwecken, ist verboten. Namentlich darf Handelsgeflügel nicht auf Wege, Anger, Teiche etc. gelangen, die vom Ortsgeflügel benutzt werden. Geflügelhändler dürfen mit ihrer Ware nicht ohne vorherige Genehmigung des Besitzers auf Privatgrundstücke kommen. Für ihre Geflügeltransporte sind Vorsichts- und Aufsichtsmaßregeln vorgeschrieben. Verdächtige Erkrankungen unter dem Geflügel des Gehöftes sind der Polizei anzuzeigen. Die Kranken werden abgesondert, die Toten unschädlich beseitigt, Ausfuhr, auch geschlachteter Tiere, ist verboten. Erst acht Tage nach der letzten Erkrankung gilt die Seuche als erloschen, die Geflügelställe und -Plätze werden unter polizeilicher Kontrolle desinfiziert. Die Geflügelbesitzer schützen sich selbst durch Fernhaltung fremden Geflügels, Absonderung neu zu gekaufter Tiere (mindestens acht Tage, besser noch vier Wochen lang, weil chronisch leicht Erkrankte darunter sein können, bei denen die Symptome anfangs unmerklich sind), sofortige Absonderung verdächtiger Erkrankter und Desinfektion des Stalles, Verabreichung von Trinkwasser, das mit Desinfektionsmitteln versetzt ist, an Kranke und Gesunde (z. B. 1 Proz. Lysol). Auch kann, wenn die G. in einem Bestand ausgebrochen ist, eine Schutzimpfung mit Septicidin (s.d.) vorgenommen werden, die sich vielfach bewährt hat. Medikamentöse Behandlung der Kranken hat wenig Wert.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 7. Leipzig 1907, S. 448.
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