Gegenmittel

[455] Gegenmittel (Gegengift, Antidotum), ein Stoff oder eine Maßnahme zur Unschädlichmachung eines Giftes im Organismus und zur Bekämpfung der Vergiftungssymptome. Bei der großen Mannigfaltigkeit der Gifte kann es Universalmittel gegen sie nicht geben, vielmehr kann jedes Gift nur durch jenes G. unschädlich gemacht werden, das es vermöge bestimmter chemischer Eigenschaften chemisch bis zur Unschädlichkeit verändert. Die alte Anschauung von einer nicht näher erklärten mystisch dynamischen Wirkung der Gegengifte, die das im Körper befindliche Gift gewissermaßen aufsuchen und untätig machen, ist völlig haltlos. Aber auch die auf Grund rationeller Anschauung angewendeten chemischen Gegengifte leisten nicht das, was man gemeinhin von ihnen erwartet, weil die Bedingungen, unter denen sie Verwendung finden, einer glatten chemischen Umsetzung wie im Reagensglas nicht günstig sind; in den seltensten Fällen gelingt es, eine chemische Wechselwirkung zwischen Gift und G. zu erzielen, ohne daß bereits der Organismus in Mitleidenschaft gezogen ist. Am ehesten gelingt dies noch, wenn das Gift, soeben genossen, sich noch im Magen befindet. Man kann dann z. B. genossene Säure durch Eingeben von gebrannter Magnesia, Kreide, Seife neutralisieren, Laugen durch Trinken verdünnter Säuren (Essig). Ferner sind üblich: Gerbsäure haltige Flüssigkeiten, wie Tanninlösung, Galläpfel-, Eichenrindenabkochung, Kaffee und Tee, die Alkaloide, Glykoside, manche Schwermetallsalze fällen; gegen Arsenik wird frisch bereitetes Eisenhydroxyd, gegen Phosphor Kupfersulfat und Terpentinöl, gegen Oxalsäure Kalksalze, gegen Schwermetallsalze Eiweiß, Milch, gegen Höllenstein Kochsalz etc. angewendet. Feingepulverte Tier- und Pflanzenkohle vermag durch Absorption Fäulnisstoffe, Alkaloidsalze, Phosphor und viele Metallsalze zu binden[455] Als physiologische oder dynamische Gegengifte bezeichnet man die antagonistisch wirkenden Substanzen, die eine dem Gift entgegengesetzte Wirkung auf das Zentralnervensystem ausüben, ohne jedoch die des erstern aufzuheben. Man bekämpft hierbei also nicht eigentlich die Giftwirkung selbst, sondern fügt ihr nur die heilsame Wirkung des Gegenmittels hinzu. Nur in den Grenzen, innerhalb deren man sonst wohl auch eine arzneiliche Hilfe gegen Symptome einer akuten Krankheit schaffen will, bekämpft man Symptome einer Morphin-, Muskarin-, Pilokarpin-, Physostigminvergiftung durch Atropin, Strychninvergiftung durch Paraldehyd oder Chloroform. Außerdem benutzt man bei Vergiftungen reizmildernde, erregende, Brechreiz mildernde, beruhigende Mittel, künstliche Atmung etc., s. Gift.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 7. Leipzig 1907, S. 455-456.
Lizenz:
Faksimiles:
455 | 456
Kategorien: