Gil Vicente

[850] Gil Vicente (spr. schil wißéinte), 1) portug. Dichter, der »Vater des portugiesischen Dramas«, geb. um 1475 wahrscheinlich in Lissabon, gest. bald nach 1536, studierte die Rechte in seiner Vaterstadt, widmete sich aber bald der dramatischen Kunst und zwar sowohl als Hofschauspieler wie als Bühnendichter. Sein erster dramatischer Versuch, ein Schäferspiel in spanischer Sprache, wurde 1502 zur Feier der Geburt des nachmaligen Königs Johann III. verfaßt und vor dem Hof zur Ausführung gebracht. Seitdem dichtete er während der Regierungszeit Emanuels und seines Nachfolgers zu allen größern Jahres- und Hoffesten ähnliche dramatische Spiele mit von ihm selbst komponierten Gesangs- und Tanzeinlagen. Seine Tochter Paula, die im Palast der Infantin Maria als Musiklehrerin lebte, bildete G. zu seiner Gehilfin aus. Von ihr sind die Werke ihres Vaters nach dessen Tode dem Druck übergeben worden (Lissab. 1562). In neuerer Zeit veranstalteten Barreto Feio und Gomes Monteiro einen Wiederabdruck mit Einleitung und Glossar (Hamb. 1834, 3 Bde.). Acht Autos hatte vorher Böhl v. Faber in seinem »Teatro español anterior á Lope de Vega« (Hamb. 1832) herausgegeben. Die meisten Stücke, oft teils spanisch, teils portugiesisch geschrieben, atmen so viel Laune und ursprüngliche Poesie und haben eine so durchaus nationale Färbung, daß sie als die Grundlagen eines Nationallustspiels angesehen werden können. Sie zerfallen in (17) geistliche Stücke (autos), in denen der Einfluß der französischen und lateinischen Mysterien sichtbar ist, Komödien (4), Tragikomödien (2) und (10) Possen, die sein Talent in Auffassung der gemeinen Wirklichkeit am glänzendsten bekunden und mit Recht als des Dichters vorzüglichste Leistungen gelten (deutsch von Rapp im »Spanischen Theater«, Bd. 1, Hildburghausen 1868). Zu der nach G. gebildeten Dichterschule gehört Camões als Dramatiker. Vgl. Th. Braga, Historia do Theatro Portuguez: Vida de G. V. e sua eschola (2. Aufl., Porto 1898); Visconde de Ouguella, Gil V. (Lissab. 1890); Visconde Sanches de Baena, Gil V. (1894); Brito Rebello, Gil V. (1902).

2) Portug. Goldschmied, war berühmt als Verfertiger der sogen. Custodia di Belem, einer Monstranz aus indischem Gold, die König Emanuel 1502 zur Erinnerung an die Entdeckung Indiens in das aus demselben Anlaß gegründete Hieronymitenkloster zu Belem bei Lissabon gestiftet hat.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 7. Leipzig 1907, S. 850.
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