Horos

[565] Horos (ägypt. Hor), ägypt. Gott, der ursprünglich im Delta heimisch war und seine Hauptkultusstätte in der Stadt Behtet (heute Damanhûr) hatte. Nach der Gründung des ägyptischen Nordstaates wurde H. zum Schutzgott dieses Reiches, während im Südstaate Set zum Hauptgott wurde. Die unterägyptischen Könige hielten sich für die irdischen Vertreter des H. und nannten sich geradezu H. Das Tier, in dem sich H. verkörperte, war der Sperber. Als Ägypten zu einem Staate (mit der Hauptstadt Heliopolis) vereinigt worden war, wurden H. und Set die gemeinsamen Schutzgottheiten des Reiches, dessen Könige sich nunmehr als »H. und Set« bezeichneten. Doch trat bei dem politischen Übergewicht der nördlichen Reichshälfte über die südliche auch der nördliche Hauptgott H. in den Vordergrund. Sein Kultus verbreitete sich weithin und fand in verschiedenen Städten des Landes Ausnahme. Bei der von der Priesterschaft von Heliopolis in vorgeschichtlicher Zeit vorgenommenen Ausgestaltung der ägyptischen Religion wurde H. als »der im Horizont Befindliche« zum Sonnengott gemacht und als dieselbe Person wie Atum, der Stadtgott von Heliopolis, erklärt. Zahlreich waren die Mythen, die sich an H. knüpften. Ursprünglich hielt man ihn und Set für Söhne des Sonnengottes, die lange miteinander um den Besitz Ägyptens gestritten hätten, bis sie sich das Land teilten, so daß H. die eine, Set die andre Hälfte erhielt. Durch die Priesterschaft von Heliopolis wurden H. und Set mit Osiris und dessen großem Mythenkreis zusammengebracht. H. wurde zu einem Sohne des Osiris und der Isis, Set zu einem Bruder des Osiris gemacht. Als Osiris von Set ermordet worden war, flüchtete Isis in die Sümpfe des Delta und gebar hier den H.; herangewachsen zog H. aus, um den Tod seines Vaters zu rächen. Er besiegte den Set und wurde König der Menschen, während Osiris unter dem Schutze seines Sohnes als Herr der Ewigkeit die Herrschaft über die Toten antrat (s. Osiris).

Fig. 1. Horos Harachte.
Fig. 1. Horos Harachte.

Die in den verschiedenen Städten als Lokalgötter verehrten H. wurden durch Beinamen voneinander geschieden; so wurde Haroëris »H. der Große« in den oberägyptischen Städten Kûs und Kom Ombo, Harsomtus »H. der Vereiniger beider Länder (d. h. Ägyptens)« in Dendera und Edfu als Sohn der mit Isis identifizierten Hathor, »H. der im Horizont Befindliche«, in Heliopolis verehrt etc. Auch Harsiesis »H. Sohn der Isis« war eine besondere Kultform des H. Als »Beschützer seines Vaters« Osiris wurde H. Harnetjot (griech. Harendotes) genannt.

Fig. 2. Jugendlicher Horos.
Fig. 2. Jugendlicher Horos.

Dementsprechend waren auch die Kultbilder der einzelnen H. verschieden; so wurde z. B. »H. der im Horizont Befindliche« als Mensch mit Sperberkopf, die Sonne auf dem Haupte tragend, dargestellt, während Harsomtus mit Sperberkopf und Doppelkrone abgebildet wurde (s. Fig. 1 und Tafel »Bildhauerkunst I«, Fig. 8). Als Stadtgott von Edfu stellte man sich H. als Sonne mit Flügeln vor, ein Bild, das vielfach auf Türen Platz fand, um die Feinde abzuwehren. Der jugendliche, noch in der Pflege seiner Mutter Isis (s. d.) befindliche H. heißt Harpechrot, »H. das Kind« (griech. Harpokrates); wie jedes ägyptische Kind, wird er nackend dargestellt, eine Locke an der rechten Schläfe tragend und am Finger lutschend (Fig. 2; vgl. auch die Abbildung bei dem Artikel »Isis«). Dies mißverstehend, haben die Griechen aus Harpokrates einen Gott des Schweigens gemacht.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 9. Leipzig 1907, S. 565.
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