Littré

[621] Littré, 1) Alexis, Mediziner, geb. 21. Juli 1658 in Cordes, gest. 3. Febr. 1725 als Arzt am Châtelet in Paris, beschrieb die nach ihm benannte Form des Darmbruches und eine Operation bei angebornem Verschluß des Afters; auch sind nach ihm die Littréschen Drüsen (s. Harnröhre) benannt.

2) Emile, franz. Philosoph, Mediziner u. Schriftsteller, einer der vielseitigsten Gelehrten seiner Zeit, geb. 1. Febr. 1801 in Paris, gest. daselbst 2. Juni 1881, studierte ursprünglich Medizin, betrieb dieselbe eine Zeitlang praktisch in Hospitälern, gründete mit andern mehrere medizinische Zeitschriften und nahm 1839 die Übersetzung der »Œuvres d'Hippocrate« in Angriff, die ihn bis 1861 beschäftigte, deren erste Proben aber ihm bereits die Pforten der Akademie der Inschriften öffneten. Sehr verbreitet ist sein »Dictionnaire de médecine« (21. Aufl., von Gilbert,1905). Inzwischen hatte er auch nacheinander Sanskrit, Arabisch, Alt- u. Neugriechisch sowie die wichtigsten neuern Sprachen studiert. Von diesen Studien wandte er sich der Philosophie zu und wurde einer der ersten und eifrigsten Jünger A. Comtes, des Begründers der sogen. positivistischen Philosophie, zu deren Verbreitung in ihrer objektiven Gestalt (der philosophie positive) L. viel beitrug, von deren subjektivem (mystischem) Teil (der politique positive) er aber nichts wissen wollte, während er sich selbst durch seine freigeistige Richtung den Haß der Klerikalen zuzog. Er veröffentlichte in dieser Richtung: »Analyse raisonnée du cours de philosophie positive« (1845); »Applications de la philosophie positive an gouvernement de sociétés« (1849); »Conservation, révolution et positivisme« (1852, 2. Aufl. 1879); »Paroles de philosophie positive« (1859); »Auguste Comte et la philosophie positive« (1863, 3. Aufl. 1877). Mit Wyrouboff zusammen gab er (seit 1867) die »Revue positive« heraus, die unter andern seinen epochemachenden Aufsatz »Des origines organiques de la morale« (1870) enthält. Trotz dieser Tätigkeit liegt die fruchtbarste Seite von Littrés Wirken erst auf dem Gebiete der Sprachwissenschaft. Dahin gehören seine »Histoire de la langue française« (1862, 2 Bde.; 9. Aufl. 1889; Suppl. 1892) und vor allem das monumentale, mit einigen andern Forschern durchgeführte »Dictionnaire de la langue française« (1863–72, 4 Bde.; Supplementband 1878), das dadurch, daß es auch die Etymologie und Geschichte der Wörter behandelt, dem Wörterbuch der französischen Akademie überlegen ist. Einen Auszug daraus besorgte Beaujean (1877, 11. Aufl. 1905). Nebenbei übersetzte L. Strauß' »Leben Jesu«, gab Armand Carrels gesammelte Werke heraus und schrieb Monographien, wie: »La vérité sur la mort d'Alexandre le Grand« (1864); »Médecine et médecins« (1871):e. Politisch hielt er sich von Anfang an zur republikanischen Partei,[621] focht 1830 mit Auszeichnung auf den Barrikaden, zog sich aber nach 1848 von dem öffentlichen Leben zurück. Auszeichnungen mancher Art lehnte er standhaft ab. Dagegen nahm er es mit dem Abgeordnetenmandat, das ihm die Stadt Paris 1871 übertrug, sehr ernst. 1875 wurde er von der Nationalversammlung zum Senator auf Lebenszeit ernannt, wie er ein Jahr früher (spät genug) zum Mitgliede der Französischen Akademie gewählt worden war, was den Austritt seines Gegners, des Erzbischofs Dupanloup, zur Folge hatte. Zu erwähnen sind noch seine metrische Übertragung von Dantes »Hölle« in die Langue d'oïl des 14. Jahrh. (1879), »Etudes et glanures pour faire suite á l'Histoire de la langue française« (1880) mit einer Skizze über die Entstehung seines Wörterbuches (letztere in neuer Ausg. 1897; deutsch, Leipz. 1881). Vgl. Sainte-Beuve, Notice sur M. L. (Par. 1863); Poëy, L. et A. Comte (das. 1879); Caro, L. et le Positivisme (das. 1883).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 12. Leipzig 1908, S. 621-622.
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