Reliktenfauna

[789] Reliktenfauna, die Gesamtheit solcher Süßwassertiere, deren nächste Verwandte im Meere leben, und die deshalb als die »Überbleibsel« einer ehemaligen Meeresfauna an Ort und Stelle angesehen werden. In Europa besitzen eine R. besonders die Seen Schwedens, Norwegens, Finnlands, der Peipussee, einige norddeutsche Seen (z. B. Havelsee, Mansfelder See, Koppenseen des Riesengebirges), ferner der Starnberger See, Genfer See, Vierwaldstätter See, Züricher See, Zuger See etc. und eine Reihe Seen der britischen Inseln und der Apenninenhalbinsel. Auch alle übrigen Erdteile besitzen Seen mit R. Die R. besteht aus Säugetieren, Fischen, Mollusken, Rädertieren, Schwämmen, Urtieren und besonders aus Krustazeen und Strudelwürmern. Unter den Säugetieren gilt als »Relikt« der Seehund, der den Onega- und Ladogasee und andre finnische Seen sowie das Kaspische Meer und den Aralsee bewohnt. Von den Fischen sind unter andern mehrere Arten von Schleimfischen (Blennius) in italienischen und asiatischen Seen bemerkenswerte, das Süßwasser bewohnende marine Formen. Von den Mollusken sind besonders Arten der Gattungen Herzmuschel (Cardium) und Miesmuschel (Mytilus) als Relikten aus schottischen und italienischen Seen bekannt. Von den Krebstieren sind wichtige Reliktenarten eine Mysis (Mysis relicta), eine Reihe Amphipoden, eine Asselart (Idothea entomon), eine Art Crevette (Palaemon) aus den italienischen Seen und auch pelagische Süßwasserkrebse der deutschen Seen, wie Bythotrephes und Leptodora. Von den Strudelwürmern der R. ist die wichtigste Art Monotus morgiensis Dupl., M. relictus Each., im Koppenteich des Riesengebirges, im Genfer See, im Peipussee und in andern Seen, deren Verwandte ausschließlich Meeresbewohner sind. Süßwasserschwämme, die eine sehr nahe Verwandtschaft mit Meeresschwämmen zeigen, finden sich im Baikalsee. Das Vorkommen einer R. im heutigen Süßwasserbecken gilt vielfach als Beweis dafür, daß diese Depressionen früher vom Meer erfüllt waren. Nun stammen viele Glieder der R. zwar sicher vom Meere, können aber gelegentlich durch Verschleppung in Süßwasserbecken gelangt sein und sich dort akklimatisiert haben. Die mehr seßhaften, an den Ort gebundenen Formen, wie Mollusken, Schwämme, treten in der Zusammensetzung der R. bedeutend zurück gegen Tiere mit gut entwickeltem Schwimm- und Bewegungsvermögen, wie Krustazeen und Fische. Die Beispiele, daß Meerestiere an Brack- und an Süßwasser sich gewöhnen, sind zahlreich; so scheint gegenwärtig eine Polypenart, Cordylophora lacustris, von der Nord- und Ostsee binnenwärts zu wandern.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 16. Leipzig 1908, S. 789.
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