Schicksalsdramen

[750] Schicksalsdramen nennt man eine Gruppe dramatischer Werke, besonders aus dem zweiten und dritten Jahrzehnt des 19. Jahrh., in denen eine spukhaftgrauenvolle Auffassung des Schicksals hervortritt. Dieses Schicksal wird als unentrinnbar, als vorherbestimmt und durch geheimnisvolle Anzeichen vorausverkündet gedacht, und es übt eine solch überragende Gewalt aus, daß ihm gegenüber die in vernunftgemäßer Entscheidung des Menschen liegenden Ursachen der Lebensvorgänge ganz ausgeschaltet werden, ja es drängt den Willen des Menschen mit unwiderstehlichem Zwang in eine ihm verhängnisvoll werdende Richtung. Abgesehen von unwichtigern Vorläufern, wie K. Ph. Moritz' »Blunt, oder der Gast« (1781, nach dem Englischen des Lillo), war Schillers »Braut von Messina« von entscheidendem Einfluß für das Aufkommen der S.: auch hier Unentrinnbarkeit, Vorherbestimmung und Vorausverkündung des durch einen Fluch veranlaßten Geschicks; aber noch nicht (und das ist von entscheidender Bedeutung) Aufhebung und Erdrückung des sittlichen Verantwortlichkeitsgefühls. Hauptverfasser von S. sind Zacharias Werner und Müllner; als das bedeutendste Werk des erstern ist »Der vierundzwanzigste Februar«, als das des letztern »Die Schuld« und daneben »Der neunundzwanzigste Februar« zu nennen. Etwas abseits steht Houwald, der in seinen Dramen »Das Bild«, »Der Leuchtturm« u.a. sich zwar an die spukhaften Äußerlichkeiten der S. anlehnt, wonach das verhängnisvolle [750] Geschick mit einem ererbten Gegenstand (Messer, Sense), einem bestimmten Tag oder Ort verknüpft ist, der sich aber von der extremen Auffassung des Schicksals selbst freihält. Auch Franz Grillparzer schloß sich in seiner immerhin phantasiereichen und lebensvollen Jugendtragödie »Die Ahnfrau« der falschen Richtung an, ließ sie aber schon in seinen nächsten Dramen völlig hinter sich. Dazu kam eine Menge längst vergessener Nachahmer, wie W. Smets, Heinrich Smidt, Anton Richter, A. v. Seckendorff, die mit den alten Mitteln die vielbewährten Wirkungen hervorzurufen versuchten. Das Schicksalsdrama verfiel beizeiten der Parodie, Jeitteles-Castellis »Schicksalsstrumpf« (Leipz. 1818) eröffnete den Reigen, und Platens satirische Komödie »Die verhängnisvolle Gabel« beschloß ihn. Vgl. Minor, Die Schicksalstragödie in ihren Hauptvertretern (Frankf. 1883), und dessen Ausgabe von S. in Bd. 151 von Kürschners »Deutscher Nationalliteratur«.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 17. Leipzig 1909, S. 750-751.
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