Siebzehnte Familie: Segler (Cypselidae)

[382] Die Segler (Cypselidae) sind kleine, aber kräftig gebauete Vögel mit lang gestrecktem Leibe, und kurzem Halse und breitem, ziemlich flachgewölbtem Kopfe, welcher einen kleinen, äußerst kurzen schwachen, dreieckigen, das heißt hinten verbreiterten, an der Spitze aber zusammengedrückten, etwas bogenförmigen Schnabel trägt, dessen Kinnladen sich so tief spalten, daß der Rachen sehr weit geöffnet werden kann. Die Flügel sind schmal und wegen der gekrümmten Schwingen säbelförmig gebogen; der Handtheil trägt zehn Schwingen, von denen die erste die längste oder bei einigen Arten höchstens etwas gegen die zweite verkürzt ist; am Armtheile hingegen stehen nur sieben bis acht Schwingen, welche breit zugerundet und am Ende leicht ausgebuchtet, aber nicht spitzig sind wie die Handschwingen. Der Schwanz ist sehr verschieden gestaltet, bald länger, bald kürzer, bald seichter, bald tiefer ausgeschnitten, besteht aber immer nur aus zehn Federn. Die Füße sind kurz und verhältnismäßig kräftig, namentlich was den Lauftheil betrifft, die kurzen Zehen mit seitlich zusammengedrückten, stark gebogenen und sehr spitzigen Krallen bewehrt. Das Gefieder ist im allgemeinen kleinfederig und derb, ausnahmsweise durch metallisch glänzende Färbung ausgezeichnet, gewöhnlich einfarbig und düster.

Nach Nitzsch »ähneln die Segler, soweit sich nach Untersuchung des Mauerseglers beurtheilen läßt, den Schwalben wie in den äußeren Formen, so auch in einigen Verhältnissen des inneren Baues, als namentlich in der Form des Kopfgerüstes, besonders der Gaumenbeine, in der Kürze des Oberarmes und in der Länge der Hand. Im Besitze des Röhrenbeinchens, der Armpadelle, in der Beschaffenheit der Luftzellen des Rumpfes, der Leber und der doppelten Bauchspeicheldrüse stimmen sie ebenfalls mit denselben überein. Allein sie entfernen sich in vielen Punkten gar sehr von ihnen und in einigen von allen Vögeln«. Das Brustbein ist groß, länger als breit, nach hinten allmählich immer breiter werdend, ohne Spur einer häutigen Bucht oder Insel, am hinteren Rande mit hohem, großem Kiel. Die Vorderglieder sind durch die Kürze der Oberarmknochen und die Länge der Hand noch weit mehr ausgezeichnet als die der Schwalben, indem der Luft führende Oberarmknochen, welcher drei sonderbare, fast hakenförmige Fortsätze zeigt, nur die Länge des zweiten Gliedes, des Langfingers, hat und der Handtheil im ganzen Vordergliede überwiegt. »Außer den Kolibris dürfte keine Vogelfamilie eine so ungewöhnlich lange Hand und einen so ungemein kurzen Oberarm haben. Ganz einzig ist die Gliederung der Fußzehen; denn statt der gewöhnlichen Steigerung der Zahl der Zehenglieder, nach welcher der Daumen zwei, die innere Vorderzehe drei, die mittlere vier und die äußere fünf Glieder hat, ist die Zahl hier zwei, drei, drei, drei, indem die äußere Zehe um zwei Glieder, die mittlere um ein Glied sozusagen [382] verkürzt ist. (Hierzu bemerkt Burmeister, daß dieses Zahlenverhältnis nur für die echten Segler Gültigkeit habe, während bei anderen Arten das gewöhnliche Zahlenverhältnis, drei, vier, fünf, sich zeige.) Der untere Kehlkopf hat nur ein schwaches Muskelpaar; die Zunge ist fast so platt und breit, auch vorn so zugespitzt, wie bei den Schwalben; der Schlund ist ohne Bauch oder Kopf, der Vormagen klein, der Magen schwachmuskelig, der Darmschlauch kurz und ohne Spur von Blinddärmen.« In besonderem Grade beachtenswerth sind die außerordentlich entwickelten Speicheldrüsen der Segler, welche sie befähigen, eigenthümliche Nester zu bauen. Nach Girtanners Untersuchungen liegen zu beiden Seiten des Zungenbandes zwei große, in der Schleimhaut der Mundhöhle eingebettete Speicheldrüsenanhäufungen. Sie erstrecken sich von der Spitze des Unterschnabels, den Unterkieferästen folgend, bis zur Stimmritze, und jede einzelne zerfällt an und für sich in mehrere Drüsenhaufen. Während der Brutzeit schwellen die Drüsen außerordentlich an und sordern dann in so reichlicher Menge Schleim ab, daß die Segler diesen verwenden können, um ihre Nester zusammenzuleimen.

Die Segler verbreiten sich über alle Erdtheile und bewohnen hier alle Gürtel der Breite, mit Ausnahme des kalten, sowie alle Höhen vom Meeresstrande an bis gegen die Schneegrenze hinauf. Sie finden sich ebensowohl in Waldungen wie in waldlosen Gegenden, vorzugsweise aber in Gebirgen und Städten, weil Felswände und Mauern ihnen die passendsten Nistplätze gewähren.

Mehr als andere Vögel bewohnen sie im eigentlichen Sinne des Wortes das Luftmeer. Vom frühen Morgen an bis in die Nacht hinein sind sie in Thätigkeit. Ihre Kraft scheint niemals zu ermatten und ihre Nachtruhe auf wenige Stunden beschränkt zu sein. Vortreffliche Flugwerkzeuge setzen sie in den Stand, ohne Beschwerde tagtäglich Strecken zu durcheilen, welche zusammengerechnet hunderte von Kilometern betragen müssen. Abweichend von den Schwalben fliegen sie gewöhnlich in hohen Luftschichten dahin, und einzelne Arten wirbeln und schrauben sich zu solchen Höhen empor, daß sie unserem Auge vollständig entschwinden. Ihr Flug kennzeichnet sie von weitem. Die Flügel gleichen, wenn sie ausgebreitet sind, einem Halbmonde und werden so rasch und heftig bewegt, daß man mehr an das Schwirren der Kerbthiere und bezüglich des Kolibri erinnert wird als an den Flügelschlag anderer Vögel. Zuweilen regeln sie ihren Flug minutenlang nur durch verschiedenes Einstellen der Flugwerkzeuge, durch leichte Drehung der Flügel und des Schwanzes, welches wir kaum oder nicht wahrnehmen, jagen aber trotzdem pfeilschnell durch die Lüfte. Wendungen und Drehungen aller Art wissen auch sie meisterhaft auszuführen; an Zierlichkeit und Anmuth der Bewegung aber stehen sie hinter den Edelschwalben weit zurück. Auf dem Boden erscheinen sie als hülflose Geschöpfe: unfähig, zu gehen, unfähig fast, zu kriechen. Dagegen klettern sie, wenn auch nicht geschickt, so doch mit ziemlicher Fertigkeit an Mauer- oder Felswänden empor und in Höhlungen auf und nieder.

Ihre ewige Rastlosigkeit bedingt bedeutenden Verbrauch der Kraft und demgemäß ungewöhnlich reichen Ersatz. Die Segler sind bei weitem gefräßiger als die Schwalben und vertilgen von den Kerbthieren, welche ihre ausschließliche Nahrung ausmachen, hunderttausende an einem Tage; denn auch die stärksten Arten der Familie, welche einen etwa drosselgroßen Leib haben, nähren sich hauptsächlich von den kleinen Kerfen, welche in hoher Luft sich umhertreiben und uns wahrscheinlich größtentheils noch gänzlich unbekannt sind. Wie viele dieser winzigen Thiere ein Segler zu seiner täglichen Nahrung bedarf, vermögen wir nicht anzugeben; wohl aber können wir behaupten, daß die Nahrungsmasse eine sehr bedeutende sein muß, weil aus dem Betragen des Vogels zur Genüge hervorgeht, daß er jagt und frißt, so lange er fliegt.

Unter den Sinnen steht, wie das große wiperlose Auge vermuthen läßt, das Gesicht obenan; der nächstdem am besten entwickelte Sinn dürfte das Gehör sein; über die übrigen vermögen wir nichts zu sagen. Der Geist scheint wenig ausgebildet zu sein. Die Segler sind zwar gesellige, aber keineswegs friedfertige, im Gegentheile zanksüchtige und rauflustige Geschöpfe, welche nicht bloß mit ihresgleichen, sondern auch mit anderen Vögeln im Streite liegen. Als klug oder listig kann [383] man sie nicht bezeichnen: ihr ganzes Wesen zeichnet sich vielmehr durch stürmische Heftigkeit aus, welche sogar die eigene Sicherheit rücksichtslos auf das Spiel setzen kann.

Alle Segler, welche den gemäßigten Gürtel der Erde bewohnen, sind Zugvögel, diejenigen, welche den Wendekreisländern angehören, mindestens Strichvögel. Der Zug geschieht, wenigstens bei einigen Arten, mit der größten Regelmäßigkeit. Sie erscheinen in ihrem Vaterlande fast mit dem einmal feststehenden Tage und verlassen es zu einer ebenso bestimmten Zeit wieder; die Frist, welche sie in der Heimat verweilen, ist aber nach den verschiedenen Arten sehr verschieden. Daß die innerafrikanischen Arten streichen, das heißt zeitweilig ihre Brutplätze verlassen und wieder zu ihnen zurückkehren, geht nach meinen eigenen Beobachtungen hervor; von den südasiatischen und südamerikanischen Arten ist dasselbe behauptet worden.

Bei den Zugvögeln der Familie beginnt der Bau des Nestes unmittelbar nach ihrer Ankunft in der Heimat; denn der Aufenthalt hier währt so kurze Zeit, daß sie mit ihrem Fortpflanzungsgeschäfte vollauf zu thun haben. Unter lärmendem Geschrei verfolgen sich die erhitzten Männchen stundenlang, eilfertigen Fluges; wüthend kämpfen sie in hoher Luft unter einander, ingrimmig auch an den Nistplätzen, und rücksichtslos vertreiben sie andere Höhlenbrüter, falls ihnen deren Wohnung passend erscheinen sollte. Die Nester selbst zeichnen sich vor denen aller übrigen Vögel aus. Wenige Arten bauen zierliche, welche mehr oder minder denen der Schwalben ähneln; viele tragen sich bloß in einer Höhlung einen Haufen von Genist zusammen, welcher so unordentlich als möglich über einander geschichtet wird. Unter allen Umständen aber kennzeichnet sich das Nest der Segler dadurch, daß die Stoffe mit dem kleberigen, bald verhärtenden Speichel überzogen und gebunden werden. Bei einigen Gruppen besteht das Nest der Hauptsache nach aus nichts anderem als ebensolchem Speichel. Das Gelege enthält ein einziges oder wenige Eier von walzenförmiger Gestalt und lichter Färbung. Das Weibchen brütet allein; die Jungen werden von beiden Eltern aufgefüttert. Jedes Paar macht eine, höchstens zwei Bruten im Jahre.

Auch die Segler haben ihre Feinde; doch ist die Zahl derselben gering. Der überaus schnelle und gewandte Flug schützt sie vor vielen Nachstellungen; nur die allerschnellsten Falken sind im Stande, einen Segler im Fluge zu fangen. Die Jungen werden, so lange sie noch hülflos im Neste sitzen, durch die kleinen kletternden Räuber gefährdet, gewisse Arten ihrer Nester und ebenfalls der Jungen wegen auch von den Menschen heimgesucht.

Für die Gefangenschaft eignen sich die Segler nicht. Gleichwohl ist es möglich, wenn man sie jung aus dem Neste nimmt, auch diese Vögel groß zu ziehen. Alt eingefangene gewöhnen sich nicht an den Käfig, liegen hier entweder hülflos am Boden oder klettern rastlos an den Wänden umher, verschmähen Futter zu nehmen und gehen infolge ihres Ungestüms oder schließlich an Entkräftung zu Grunde. Jung dem Neste entnommene muß man anfänglich stopfen, um sie nach und nach dahin zu bringen, daß sie selbst fressen. Rechte Freude gewinnt man übrigens auch dann nicht an ihnen. Es ist unmöglich, ihnen einen Raum zu bieten, welcher groß genug wäre, ihnen den nöthigen Spielraum zur Entfaltung ihrer hervorragendsten Fähigkeiten zu gewähren, und hierin liegt der Grund, daß sie nur unbehülflich sich gebaren. Ihre Absonderlichkeit fesselt den Beobachter, ihr Wesen hat wenig ansprechendes.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Vierter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Erster Band: Papageien, Leichtschnäbler, Schwirrvögel, Spechte und Raubvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 382-384.
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