Zweite Gruppe (11-22.)

[15] Lieder an Indra.


In den meisten Liedern des Rigveda wird Indra dargestellt als der Beherrscher der ganzen Welt, der Götter und der Menschen, der vor allen Wesen durch Grösse, Macht und Kühnheit hervorragt, namentlich, nachdem er den berauschenden stärkenden Soma oder Indu getrunken. Daher bildet das Somaopfer den Mittelpunkt des dem Indra geweihten Gottesdienstes. Es wurde eine auf den Bergen wachsende milchsafthaltige Pflanze, wahrscheinlich eine Sarcostemma-Art (viminale, acidum oder eine ähnliche), die nach der Sage ein mystischer Vogel vom Himmel brachte, mit Wasser übergossen und durchspült, darauf die angeschwollenen Pflanzen auf eine durchlöcherte Platte gebracht, und dann mit einem oder mehrern Steinen, die mit den Händen bewegt wurden, der Saft herausgeschlagen. Dann wurde der durch die Löcher rinnende Saft in einer Seihe filtrirt. Diese Seihe bestand aus Schafwolle, die durch ein Fell (carman) zusammengehalten wurde; bei der einfachsten Einrichtung floss dann der filtrirte Saft zu beiden Seiten dieses Fells in zwei Gefässe (camū) ab. Der so geklärte Saft wurde mit Milch und mit Gerstenkörnern (Gerstenmalz) vermischt und entweder sogleich oder[15] nach eintägiger Gur den Göttern, namentlich dem Indra und seinen Begleitern den Maruts, die auf der bereiteten Streu sitzend gedacht wurden, zugegossen und dabei ihnen Sprüche und Lieder dargebracht. Dadurch gestärkt, vollbringt Indra seine Heldenthaten, zu denen er mit dem Blitze oder Donnerkeil bewaffnet, in einem Wagen auszieht, der von zwei (selten mehr) Füchsen, d.h. röthlichen oder goldfarbenen Rossen gezogen wird. Seine Thaten sind Befestigung des Himmels und der Erde, Erhaltung der Sonne und der Morgenröthen, vor allem aber gewaltige Kriegsthaten, die er theils in den Wolken des Himmels, theils auf der Erde ausführt. So erschlägt er allein oder mit den Angiras, einer Klasse von Halbgöttern, verbunden, die Dämonen, namentlich den Dämon, der in dem Wolkengeklüft die regenspendenden Kühe, die Wasser verschliesst, den Vritra oder die Schlange, den Drachen (ahi), oder den Verschliesser (vala), und zerbricht die 99 oder 100 Burgen des Çambara oder Çuschna oder anderer Dämonen und ergiesst die eingeschlossenen Gewässer als Regen und schafft ihnen freie Bahn zum Meere. Er stürzt die Himmelsstürmer Rauhina und andere von den Höhen herab, und tilgt auch auf der Erde die feindlichen Dämonen. An den Kämpfen der Menschen betheiligt er sich und verschafft Sieg denen, die ihm am treusten dienen, und lässt sie reiche Beute erlangen. Einzelne abweichende oder weiter ausgeführte Züge dieses Bildes werden an den betreffenden Stellen, wo sie einer Erläuterung bedürfen, erwähnt werden.

Quelle:
Rig-Veda. 2 Teile, Leipzig 1876, [Nachdruck 1990], Teil 1, S. 15-16.
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