Kritische Tage

[829] Kritische Tage, 1) (Dies critici), in früherer Zeit Hauptgegenstand der Krankheitslehre. Hippokrates u. die Galensche Schule stellten den Grundsatz auf, daß die Natur in Fiebern die Krankheit nur an gewissen Tagen zu unterscheiden geneigt sei u. daß nur an ihnen in der Regel heilsame Krisen erfolgen. Sie unterschieden: a) eigentlich K. T.; als solche stellen sie auf: den 7. Tag als den vollkommensten, dann den 14. u. den 20. (seltener, obgleich er von Neueren dafür genommen wird, den 21.). Über diese Grenze hinaus erstrecken sich hitzige Fieber gewöhnlich nicht, für verzögerte Fieber aber wurde vom 21. bis zum 40. Tage wieder eine neue Rechnung von Tagen aufgestellt, welche der vom 1._– 20. Tage entsprach; b) Anzeigende Tage (Dies indicantes), die dritten von den jedesmaligen K-n T-n, also der 4., der 11. u. der 17., an denen eine kleine, aber nicht entscheidende Krise, von der Art, wie die erwartete Hauptkrise, eintreten sollte; c) Zwischentage (Dies intercurrentes), an denen schlimme Ausgänge, od. auch Verschlimmerungen des Krankheitscharakters gefürchtet wurden; dergleichen waren in der ersten Woche der 3., 5., bes. aber der 6. (an dem man in sehr hitzigen Krankheiten bes. den Tod fürchtete u. der daher als D). pseudo-criticus, D. tyrannus bezeichnet wurde), in der zweiten Woche der 9. (auch sehr gefürchtet) u. 12. Tag, in der dritten Woche der 19. Tag; d) Leere Tage (D. vacui), alle übrigen Tage; doch rechnete Galen den 1. u. 2. Tag hinsichtlich der Ephemera für kritische. Man hat die Ursachen, warum jetzt alle diese Unterscheidungen in der Erfahrung sich nicht mehr bewähren, in der einfacheren Lebensweise der Alten, welcher zu Folge auch die Natur in Krankheiten mit sich übereinstimmender geblieben sei, zugleich aber auch in dem, in neuerer Zeit mehr eingreifenden ärztlichen Verfahren in Krankheiten gesucht, wodurch Krankheiten vielleicht theilweise abgekürzt u. modificirt werden, die gänzliche Wiederherstellung aber oft auch nur erst allmälig u. unvollkommen erfolgt; 2) (Kirchw.), s. Residentia.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 9. Altenburg 1860, S. 829.
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