Sonett

[280] Sonett (Klinggedicht, Klanggedicht), eine besondere Art kleiner lyrischer Gedichte, welche vorzugsweise innige Empfindungen aussprechen. Das S. besteht aus 14 gleichlangen (gewöhnlichjambischen) gereimten Versen, welche in zwei Hauptabtheilungen zu trennen sind, von denen die erste aus zwei vierzeiligen (Quatrains, Quadernarii), die andere aus zwei dreizeiligen Strophen Terzinen) besteht. Der Reim ist fast durchgängig der weibliche. Jede Hauptabtheilung hat, wie ihren geschlossenen Sinn, so auch ihr abgeschlossenes Reimgebiet; in den Quatrains kehren zwei Reime viermal, in den Terzinen zwei dreimal, od. drei zweimal wieder. Die gewöhnliche Stellung der Reime ist so, daß sich in den Quatrains der erste, vierte, fünfte u. achte Vers reimen (geschlossener Reim, Rima chiusa), od. daß. die Reime regelmäßig abwechseln (Wechselreim, Rima alternata), od. daß die erste Strophe den geschlossenen, die andere den Wechselreim hat (Mischreim, Rima mista). Die beiden Terzinen, mag man den Gedrittreim (Rima alterzata), wo sich drei Zeilenreimen, od. den Kettenreim (Rima incatenata), wo nur zwei Zeilen denselben Reim haben, wählen, gewähren die Freiheit die Reime auf alle mögliche Weise zu verschlingen. Abweichungen von dem Gesetz des S-s findet man jedoch in den italienischen Dichtern sehr häufig, u. daraus sind neue Benennungen entstanden; so das Anakreontische S., mit kürzeren, meist achtsylbigen Versen; das geschweifte S. (Sonetto caudato, S. colla coda), mit einem Anhang (Coda) von einer od. mehren Terzinen. Der erste Vers der Coda hat dann bei den späteren regelmäßigen Dichtern sieben Sylben u. reimt auf dem letzten des S-s, die beiden anderen sind elfsylbig u. haben einen gemeinschaftlichen Reim, welcher jedoch im S. selbst nicht vorkommt. Auch soll der Sinn des S-s mit dem vierzehnten Vers geschlossen sein u. die Coda eben nur einen Anhang dazu enthalten. Sind mehre solcher Anhänge, so reimt der erste Vers der zweiten Coda auf den letzten der ersten [280] Coda etc. Die geschweiften S-e sind nie ernsten, sondern nur komischen Inhalts. Sonettenkränze sind Reihen mehrer S-e, welche durch gleiche Reime verschlungen sind. Die Anforderungen an ein gutes S. sind, daß sich der Gedanke leicht u. ungezwungen in die künstliche Form fügt, jeder Vers soll einen neuen Gedanken enthalten, das Ganze mit der Strophe steigen u. epigrammatisch (d.h. im Geist des griechischen Epigramms) endigen Die ursprüngliche Entstehung des S-s aus dem Wesen des Satzes u. Gegensatzes, des Bildes u. Gegenbildes macht es nöthig, daß nicht blos zwischen den zwei Hauptabtheilungen, sondern auch zwischen den einzelnen Quatrains u. Terzinen Ruhepunkte stattfinden. Das S., hervorgegangen aus der provençalischen Poesie, wurde in der Mitte des 13. Jahrh. nach Italien verpflanzt; die erste regelmäßige Gestalt gab ihm Fra Guittone aus Arezzo (gest. 1295), die Vollendung Petrarca. In Frankreich bürgerte es sich seit dem 16. Jahrh. ebenfalls ein, sank aber bald in den Boutsrimés zur hohlen Form herab; in Deutschland fand es namentlich durch Weckherlin u. Opitz Eingang, erhielt den Namen Klanggedicht, verfiel aber schon im 17. Jahrh. wieder gänzlich, bis es Ende des 18. Jahrh. durch Bürger wieder aufgenommen wurde, welchem dann Goethe, A. W. Schlegel, Tieck, Novalis (Hardenberg), Graf von Löben, Rückert, Graf Platen u.a. folgten.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 16. Altenburg 1863, S. 280-281.
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