Verhandlungsmaxime

[475] Verhandlungsmaxime, im Civilprocesse der Grundsatz, daß der Richter den Parteien gegenüber eine vorwiegend objective Stellung einzunehmen hat, gemäß welcher er denselben in der Regel weder vorzugreifen, noch etwas zu ergänzen od. beizufügen berechtigt ist, was sie nicht selbst in gehöriger Form vorgetragen od. begehrt haben. Die speciellen Anwendungen der V. pflegt man durch folgende Sätze auszudrücken: a) der Richter soll nicht früher einschreiten, als bis er dazu aufgefordert wird; b) auch im Falle einer geschehenen Aufforderung soll er seine Beschlüsse nicht weiter ausdehnen, als soweit das Gesuch der ihn auffordernden Partei reicht; c) der Richter hat die Motive seines Urtheils nur aus den Materialien zu schöpfen, welche ihm die streitenden Theile selbst an die Hand gegeben haben, selbst dann, wenn er zufällig als Privatmann anders von der Sache unterrichtet wäre (Quod non est inactis, id non est in mundo), s. Civilproceß B) c). In der ersten Beziehung erleidet der Grundsatz insofern eine Ausnahme, als sowohl das öffentliche Interesse, als die Gefahr einer Nichtigkeit des Verfahrens den Richter zu selbständigem Handeln bestimmen kann. Auch ist der Richter bei der blos proceßleitenden Thätigkeit nicht an die V. gebunden, u. ebenso unbenommen bleibt es ihm immer zur Ausmittelung des Streitpunktes od. zu seiner besseren Information über die Beschaffenheit des streitigen Gegenstandes das Geeignete von Amtswegen anzuordnen. In zweiter Hinsicht bleibt der Richter jedenfalls befugt auch auf weniger als geboten zu erkennen, u. bei Theilungssachen ist die Regel überhaupt nicht anwendbar. Die dritte Anwendung der V ist zunächst nur auf die thatsächlichen Momente, nicht aber auf die Rechtssätze zu beziehen, nach welchen die vorgebrachten Thatsachen zu beurtheilen sind. Diese darf u. muß der Richter sogar von Amtswegen berücksichtigen u. nöthigenfalls ergänzen, ohne daß es dazu von Seiten der Partei erst der Beifügung der sogen. Clausula salutaris, wodurch die Partei um Ergänzung des Nöthigen bittet, bedarf. Selbst in Betreff der Benutzung des Thatsächlichen leidet aber die V. noch insofern eine Ausnahme, als der Richter auch dasjenige unbedingt benutzen darf, was entweder allgemein, od. doch landes- u. gerichtskundig (notorisch) ist.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 18. Altenburg 1864, S. 475.
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