Anlegen

[56] Anlegen. (Mahlerkunst)

Die ersten Farben eines Gemähldes auftragen, welche hernach bey der Ausarbeitung wieder von andern Farben bedekt werden.

Das gute und insonderheit das kräftige Colorit kann nicht wol durch eine einzige Auftragung der Farben erreicht werden, ausgenommen in solchen Stüken, die weit aus dem Auge zu stehen kommen; in welchem Fall die Farben sehr dik neben einander aufgetragen werden, daß sie ihre volle Würkung behalten. Bey Gemählden aber die man in der Nähe sehen soll, müssen die Farben mehr in einander fließen, und können auf einmal nicht gar dik aufgetragen werden. Auch andre Umstände erfodern ofte, daß eine Farbe über eine andre gedekt werde, so daß die untere etwas durchscheine.1 In diesem Falle muß das ganze Stük mehr, als einmal übermahlt werden. Die erste Auftragung der Farben, wird das Anlegen genennt.

Das Anlegen ist ein wichtiger Theil des Mahlens; denn wenn dabey etwas wesentliches versehen wird, so kann das Colorit niemals vollkommen werden. Wie aber überhaupt keine schlechterdings festgesezte Regeln der Farbengebung vorhanden sind, sondern jeder Mahler durch Uebung und Versuche sich eine besondre Methode angewöhnt hat; so läßt sich auch nicht bestimmt sagen, wie der Mahler beym Anlegen verfahren soll.

Der sicherste Weg, ein Gemählde gut anzulegen, scheinet dieser zu seyn, daß man mit einem etwas breiten Pinsel zuerst die Lichter, denn die Schatten gleich stark neben einander seze, und hernach an den Gränzen zwischen beyden gelinde hin und her fahre, um sie etwas mit einander zu vereinigen. Diese erste Anlage muß den Grund einer guten Haltung und Verfließung der Lichter und Schatten geben. Und diese wird man schweerlich erhalten, wenn man es in der ersten Anlage verfehlt hat. Lairesse giebt den Rath, man soll diese angelegten Stellen durch eine dünne Hornscheibe ansehen, um desto sicherer von der guten Vereinigung des Lichts und Schattens zu urtheilen. Es hat ohngefehr dieselbe Würkung, wenn man etwas weit von dem angelegten Gemählde zurük trit, um diese Vereinigung desto besser zu bemerken. [56] Es ist sehr wesentlich, daß man bey der ersten Anlage nicht eher ruhe, bis im ganzen die gehörige Haltung und eine gute Harmonie der Haupttheile erreicht ist.

Bey der Anlage muß der Mahler so viel möglich das völlige Colorit schon in der Einbildungskraft haben, damit er die Stellen, die mehr oder weniger laßirt werden müssen, gehörig anlege. Historische Gemählde werden am besten da angefangen, wo die größte Maße des Lichts zusammen kommt; hingegen scheinet es in Landschaften ein Vortheil zu seyn, wenn die Luft und die Hintergründe zuerst angelegt werden.

Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 56-57.
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