Formschneiden

[396] Formschneiden. (Zeichnende Künste)

Unter der Benennung des Formschneidens versteht man die Kunst allerhand Zeichnungen in hölzerne Formen zu schneiden, von denen sie mit Oelfarben auf Papier abgedrukt werden. Die Abdrüke selbst nennet man Holzschnitte. Es geht damit überhaupt also zu. Man trägt auf ein Stük zähes und feines Holz mit Bleystift oder einer andern Farbe die Zeichnung auf; hernach nihmt man mit schiklichen Instrumenten und Werkzeugen von der Oberfläche des Holzes alles, ausser den gezeichneten Strichen, bis auf eine gewisse Tiefe weg. Enthält die Zeichnung eine Vorstellung, in welcher Gegenstände von verschiedenen Entfernungen sind, wie in Landschaften, so bedient man sich des Kunstgriffes, die entfernten Gründe auf dem Stok selbst, ehe man die Zeichnung darauf trägt, etwas zu vertiefen, damit hernach beym Abdruken die dazu gehörigen Striche nur sehr schwach heraus kommen. Wenn nun auf diese so zubereitete Form mit Ballen, die denjenigen gleichen, deren sich die Buchdruker bedienen, die Farbe aufgetragen wird, so bleibet etwas davon auf der Form kleben und zwar nur auf den Strichen, weil alles übrige vertieft ist. Wird nun ein feuchtes Papier darauf gelegt und sachte gepreßt, so drükt sich die Farbe auf das Papier ab; die Stellen aber, die auf die vertieftesten Theile der Form treffen, bleiben weiß; folglich ist nun die ganze Zeichnung, aber in Ansehung der rechten und linken Seiten verkehrt, auf dem Papier, das nun ein Holzschnitt genennt wird.

Diese geschnittenen Formen sind einigermaaßen das Gegentheil der Kupferplatten. Denn in diesen werden die Striche, die sich abdruken sollen, vertieft, und hier sind sie erhöht. Daher ist es auch nicht möglich in den Holzschnitten die Zeichnungen weder mit so feinen, noch mit so mannigfaltig durch einander laufenden Strichen zu machen, als in Kupferplatten, weil das Holz entweder ausspringen, oder im Druk sich umlegen würde. Dieses giebt also den Holzschnitten überhaupt ein ganz anderes und matteres Ansehen, als die Kupferstiche haben. Diese können auch das Matte und das Glänzende, das Glatte und das Rauhe, und überhaupt das Charakteristische der Oberflächen der Körper beynahe so gut, als der Pinsel selbst bezeichnen, da hingegen die Holzschnitte alles gleich matt machen. Ferner können die Kupferstiche das Weiche der Zeichnungen und der Gemählde, da die Umrisse mehr angedeutet als ausgedrukt sind, fast eben so gut, als die Mahlerey erreichen; diesen Vortheil hat der Holzschnitt [396] nicht. Für diesen schiken sich vorzüglich die Zeichnungen, wo durch wenig kernhafte Striche nur die Hauptsachen ausgedrukt sind. Meisterhafte, aber wenig ausgeführte Handzeichnungen, können sehr gut in Holz geschnitten werden.

Die Holzschnitte haben aber vor den Kupferstichen den Vortheil, daß man einige tausend gute Abdrüke davon nehmen kann, da die Kupferstiche nur einige Hundert geben. Es würde also ohne Zweifel zur Aufnahm der Kunst gereichen, wenn das Formschneiden mit dem Eyfer getrieben würde, als das Kupferstechen. Es giebt fürtreffliche Gemählde, die sich fürnehmlich durch das Große der Anlage und der Zeichnung herausnehmen; diese könnte man durch Holzschnitte weit besser, als durch Kupferstiche allgemein machen. So könnten auch die vornehmsten Werke der alten Bildhauer durch Holzschnitte beynahe eben so gut, als durch Kupferstiche, zum Unterricht der Studirenden ausgebreitet werden. Es ist zum Nachtheil der zeichnenden Künste geschehen, daß das Formschneiden von dem Kupferstechen bey nahe verdrängt worden. Denn gegenwärtig wird es größtentheils nur in der Buchdrukerey zur Verzierung gebraucht, da es ehedem zur Bekanntmachung und Ausbreitung der Werke der größten Meister gebraucht worden.

Das Mechanische der Kunst hat der fürtreffliche französische Formschneider Papillon, in einem besondern Werk ausführlich beschrieben1, wo er auch zugleich eine gute Geschichte dieser Kunst gegeben hat. Niemand aber hat dem Ursprung derselben fleißiger und mühesamer nachgeforscht, als der Hr. von Heineke2. Es ergiebt sich aus seinen Untersuchungen, daß das Formschneiden vermuthlich bey Gelegenheit der Verfertigung der Charten zum Spielen aufgekommen sey. Der Ursprung dieser Charten ist nicht bekannt; unstreitig aber ist es, daß sie schon im XIII Jahrhundert bekannt gewesen. Zu welcher Zeit man aber angefangen habe, das Formschneiden zu einem edlern Gebrauch anzuwenden, hat Niemand ausmachen können. Nur so viel ist gewiß, daß schon vor dem Jahr 1430 biblische Geschichten in Holz geschnitten worden.

Erst aber um den Anfang des XVI Jahrhunderts hat diese Kunst sich in einem vortheilhaften Lichte gezeiget. Man hat von dieser Zeit von verschiedenen Meistern, besonders aber von Albrecht Altdorfer einem Schweizer, fürtreffliche kleine Holzschnitte, darin so wol die Zeichnung, als der Schnitt sehr schätzbar sind. Auch ist den Liebhabern bekannt, daß um diese Zeit Albrecht Dürer so fürtreffliche Zeichnungen in Holz geschnitten, daß verschiedene davon in Italien von dem berühmten Marc-Antonio und andern nachgestochen worden. Wer eine ausführliche Geschichte dieser Kunst verlangt, wird selbige in dem angeführten Werke des Papillons finden.

Wir müssen hier noch einer besondern Art der Holzschnitte erwähnen, die von den Italiänern chiaro-scuro, von den Franzosen camayeux genennt werden. Sie ahmen mahlerische Zeichnungen nach, wo die Umriße mit Strichen, die Hauptlichter und Schatten aber durch Duschen angezeiget sind. Die Kunst besteht darin, daß für eine Zeichnung zwey oder drey Formen gemacht werden. Die eine enthält die Umriße, und die Stellen der stärksten Schatten; die andre aber enthält die Stellen der halben Schatten, und eine dritte die Stellen der höchsten Lichter; wo diese nicht durch das weiße Papier selbst schon in die Zeichnung kommen. Aber man nihmt oft graues, oder braunes Papier dazu. Die größte Sorgfalt hat der Künstler darauf zu wenden, die verschiedenen Formen so genau auf einander zu paßen, daß jede Farbe an ihren rechten Ort komme. Man hat viel schöne Stüke von dieser Art, von berühmten italiänischen Meistern.

Es scheinet, daß auch diese Art in Deutschland entstanden sey, indem man noch einige Stüke hat, die vor Albrecht Dürers Zeiten gemacht sind3. In Italien hat sich Hugo da Carpi zuerst darin hervor gethan. Weitläuftige Nachrichten hievon findet man bey Papillon, und in dem Dictionaire Encyclopedique, im Artikel Gravure en bois, de camayeu.

Diese Art schiket sich fürtrefflich zur Ausbreitung derjenigen Handzeichnungen, darin die Künstler [397] blos die Hauptsachen, so wol in Zeichnung und Anordnung, als im Hellen und Dunkeln entworfen haben. Es läßt sich nicht wol erklären, warum diese Art gegenwärtig so wenig gebraucht wird.

1S. Traitté historique et pratique de la gravure en bois par I. M. Papillon. à Paris 1766.
2S. Nachrichten von Künstlern und Kunstsachen, zweyter Theil, darin eine weitläuftige Abhandlung von der Formschneiderey und den ersten gedrukten Büchern zu finden ist.
3S. Heineken in dem angezogenen Werk auf der 113 Seite.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 396-398.
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