Laune

[678] Laune. (Schöne Künste)

Bedeutet eben das, was man gemeiniglich auch im Deutschen mit dem französischen Wort Humeur ausdrüket; nämlich eine Gemüthsfassung in der eine unbestimmte angenehme oder verdrießliche Empfindung so herrschend ist, daß alle Vorstellungen und Aeußerungen der Seele davon angestekt werden. Sie ist ein leidenschaftlicher Zustand, in dem die Leidenschaft nicht heftig ist, keinen bestimmten Gegenstand hat; sondern blos das Angenehme, oder Unangenehme das sie hat, über die ganze Seele verbreitet. In einer lustigen Laune sieht man alles von der ergözenden und belustigenden Seite, in einer verdrießlichen aber, ist alles verdrießlich. Wie ein von gelber Galle kranker Mensch alles gelb siehet, so erscheinet einem Menschen in guter oder übler Laune alles lustig, oder verdrießlich; seine Urtheile, Empfindungen, Handlungen, haben alsdenn etwas falsches, oder übertriebenes an sich. Von der Laune wird die Vernunft nicht so völlig, als von der heftigen Leidenschaft gehemmet; aber sie bekommt doch eine schiefe Lenkung, daß sie keinen Gegenstand in seiner wahren Gestalt, oder in seinem eigentlichen Verhältnis sieht. Menschen von lebhafter und sehr empfindsamer Gemüthsart, denen es sonst an Vernunft nicht fehlet, werden von Gegenständen, die lebhaften Eindruk auf sie machen, so ganz durchdrungen, daß sie eine Zeitlang halb aus Ueberlegung und halb aus blinder Empfindung handeln und urtheilen; und in diesem Zustande schreibet man ihnen eine Laune zu. In Absicht auf die schönen Künste ist dieser Zustand wichtig; denn die Laune vertritt nicht selten die Stelle der Begeisterung, indem sie das Gemüth des Künstlers in den Ton stimmt, der sich zu seinem Gegenstand schiket, und auch nicht selten die eigentlichsten Einfälle, Gedanken und Bilder darbiethet: facit indignatio versum. Gar ofte hat der Künstler keine Muse zum Beystand, als seine Laune. Jedes lyrische Gedicht muß von der Laune seinen Ton bekommen. Die Horazische Ode an den über See seegelnden Virgil, ist fast ganz die Würkung der verdrießlichen Laune des Dichters, der um seinen Freund besorgt ist. Alles kommt ihm gefährlicher vor, als es ist, und er schimpft in dieser Laune auf die Verwegenheit des Menschen, die diese Art zu reisen erfunden hat.

Wir beobachten den Menschen nie mit mehr Aufmerksamkeit, als wenn wir ihn in einer merklichen Laune sehen; auch ist in diesen Umständen fast alles, was wir an ihm sehen, belustigend, oder lehrreich. Was wir in seiner wahren Gestalt, und mit seinen natürlichen Farben sehen, das sieht der launige Mensch in veränderter Gestalt und in verfälschter Farbe. Es befremdet uns, daß er die Sachen nicht so sieht, wie wir; und daher nähert sich der launige Zustand dem Lächerlichen, und dienet uns zu belustigen. Lehrreich ist er für den Philosophen, der daraus erkennen lernt, auf wie vielerley seltsame Weise die Urtheile verdräht werden, und wie die wunderlichsten Trugschlüsse entstehen.

Auf der comischen Schaubühne macht die Laune der Hauptpersonen oft das Vornehmste aus. Nichts ist belustigender zu sehen und zu hören, als die Farb und der Ton, den die Laune allen Handlungen und Urtheilen der Menschen giebt; und die merkwürdigsten Gegensätze entstehen da, wo Personen von entgegengesezter Laune sich für einerley Gegenstände intreßiren, da der eine alles von der verdrießlichen, der andre von der lustigen Seite ansieht. Der Dichter hat auch nirgendwo bessere Gelegenheit, als bey solchen Contrasten, uns die gerade Richtung der Vernunft sichtbar zu machen. Die wichtigsten Beobachtungen, die der Mensch über sich selbst machen könnte, wären ohne Zweifel die, die er über den Einflus seiner Laune, auf seine Urtheile machen würde. Wir müssen uns ofte über uns selbst verwundern, daß wir zu verschiedenen Zeiten, so verschiedene Urtheile über dieselben Sachen fällen. Sie sind eine Würkung der Laune. Der comische Schauspieler kann uns dergleichen Beobachtungen erleichtern.

Wer für die comische Bühne arbeiten will, muß sich in jede Art der Laune zu sezen wissen. Darin findet er das sicherste Hülfsmittel, den Zuschauer zu ergözen, und zu unterrichten. Darum ist es sein Hauptstudium die Menschen in jeder Gattung der Laune zu beobachten. Er kann es, als eine Grundmaxime annehmen, daß er gewiß nur in den Scenen recht glüklich ist, wo es ihm gelungen, sich selbst in die Laune zu sezen, die er zu schildern hat. [678] Auch in dem gemäßigten lyrischen Ton, besonders in Liedern, thut die Laune fast alles. Man merkt es gar bald, wenn das Gemüth des Dichters nicht in dem Ton gestimmt gewesen, den er annihmt. Wir ergözen uns an der wollüstigen Laune des Anakreons, die ihn so naiv macht; aber bey so manchen seiner deutschen Nachahmer verräth sich gar bald eine würklich wilde und ausschweifende Gemüthsart, die nichts als Ekel erwekt.

Die Reden und Handlungen, die aus Laune entstehen, gefallen allemal, wegen des sonderbaren und charakteristischen, das darin ist. Das Allgemeine und Alltägliche hat nichts, das die Aufmerksamkeit reizet; aber jede merkliche Laune hat etwas an sich, das uns gefällt, und wobey wir mit Vergnügen die Abweichungen von der ruhigen Vernunft beobachten. Die Laune ist die wahre Würze der comischen Handlung, und wer nicht launisch seyn kann, wird in diesem Fach nie etwas ausrichten; durch bloße Vernunft kann keine gute Comödie gemacht werden.

Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774, S. 678-679.
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