Säulenstellung. Säulenweite

Säulenstellung. Säulenweite. (Baukunst)

Die Weite in welcher man die Säulen auseinandersezet, diese Weite aber wird von der Mitte oder den Axen der Säulen gerechnet. Vitruvius lehret, daß bey den Alten fünferley Säulenweiten gebräuchlich gewesen. Die geringste war von fünf Modeln, so daß der offene Raum zwischen den Schaften der Säulen anderthalb Säulendike, oder drey Modeln war.1 Diese Art nennten sie Diksänlicht (pycnostylum). In der zweyten Art war die Säulenweite von sechs Modeln (Systylon) nahesäulig. In der dritten Art, die für die schönste gehalten wurd, und daher Eustylon hies, war die Weite von 61/2 Modeln; in der vierten (diastylon) war sie von 8, und in der fünften (areostylon) von 9 Modeln. Die Säulen noch weiter auseinander zu sezen, geht aus zwey Gründen nicht wol an. Erstlich; weil das Gebälk zwischen den Säulen sich eindrüken könnte, und hernach; weil so weit auseinanderstehende Säulen dem Gebäude ein gar zu mageres und armes Ansehen gäbe. Der griechische Baumeister Hermogenes, der diese Säulenweiten bestimmt hat, gab auch dafür eigene Verhältnisse der Höhen der Säulen. Für die diksäulige Stellung gab er der Säule 20 Model; für die weitsäulige von 9 Modeln gab er den Säulen 16 Modelhöhe, und machte sie folglich diker. Dieses scheinet, ob es gleich gegenwärtig nicht mehr beobachtet wird, der Natur der Sache gemäßer, als daß bey einerley Höhe, die weit und engestehenden Säulen gleich dik seyen.

Bey großen Säulenweiten hat man bisweilen den Unterbalken von Metall gemacht. Die Kunst die Steine so zu hauen, daß ein langer Unterbalken aus Stüken kann zusammengesezt werden, die sich selbst, wie die Steine eines Bogens tragen, war den Alten nicht bekannt. Daher sezten sie bisweilen ihre Säulen zu nahe zusammen. Vitruvius sagt, daß die Säulen um ihre Tempel bisweilen so nahe an einander gestanden, daß die Damen, die sich an [1005] der Hand faßten, sich haben trennen müssen, um zwischen den Säulen durchzugehen.

Das Wichtigste worauf man bey Säulenstellungen zu sehen hat, ist das Verhältnis der Säulenweite zu der Eintheilung der Tryglyphen der dorischen Ordnung,2 und der Sparrenköpfen oder Zahnschnitte in den Ordnungen, wo solche angebracht werden. Denn es ist nothwendig, daß allemal die Mitte eines solchen Gliedes auf die Mitte einer Säule treffe. Um dieses zu erhalten, muß die Säulenweite so beschaffen seyn, daß sie, wenn die Weite zweyer Sparrenköpfe, oder Zahnschnitte für die Einheit des Maaßes angenommen wird, eine gerade Zahl solcher Einheiten enthalte. Das ist, daß die Säulenweite 2, 4, 6, 8 etc. solcher Einheiten ausmache. Man hat demnach hiebey folgendermaaßen zu verfahren.

Durch die festgesezte Höhe des Gebäudes, oder eines Geschosses, wird die Höhe der Säule bestimmt, durch diese die Höhe des Gebälkes.3 Von der Höhe des Gebälkes aber hängt die Breite und Weite der Dreyschlize, Sparrenköpfe und Zahnschnitte ab. Diese wird demnach durch die angenommene Höhe des Gebäudes bestimmt. Man nehme also die Weite aus der Mitte eines Dreyschlizes, Sparrenkopfs oder Zahnschnitts zum nächsten, als die Unität an, und suche eine Säulenweite, die, nach dieser Unität gemessen, sich durch eine gerade Zahl theilen lasse.

In der jonischen, der römischen und der corinthischen Ordnung ist die Weite aus der Mitte eines Sparrenkopfs, zum andern 1 Model. Also paßt sich jede Säulenweite, von einer geraden Anzahl von Modeln dazu. In denselben Ordnungen ist die Weite der Zahnschnitte 5 Minuten, oder 1/6 des Models; folglich können alle obenerwähnte Säulenweiten dazu gewählt werden, ausgenommen die, welche Eustylon genennt wurd; weil sie von 61/2 Modeln, folglich 39 Zahnschnitten ist. Die größte Schwierigkeit in Festsezung der Säulenweite findet sich in der dorischen Ordnung. Wir haben deswegen besonders davon gehandelt.4

Es sind aber bey Anordnung der Säulenstellung vier Hauptfälle zu betrachten.

1. Wo man freye Säulen ohne Postamente hat. Für diesen Fall will Goldmann die Weite 1/4 der ganzen Höhe der Ordnung haben.

2. Wo freye Säulen, aber mit Postamenten sind.

3. An Pfeilern stehende Säulen ohne Postamente.

4. Dergleichen mit Postamenten. Wie diese Fälle zu behandeln sind, kann aus dem besondern Fall, den wir im Artikel Bogenstellung betrachtet haben, abgenommen werden.

An den Hauptseiten, in deren Mitte ein Eingang in das Gebäude ist, haben die Alten die mittlere Säulenweite, in welche die Thür fällt, bisweilen etwas größer genommen, als die übrigen. Allein dieses ist verschiedenen verdrießlichen Berechnungen unterworfen. Goldmann rathet deswegen ohne Ausnahm die mittlere Säulenweite doppelt so groß zu nehmen, als die andern. Dadurch werden alle Rechnungen vermieden. Allein dieses unterbricht die edle Einfalt der Gebäude. Rathsamer scheint es, alle Säulenweiten gleich zu machen, ohne der in der Mitte etwas besonders zu geben.

1Man muß hier das Wort Model in dem Sinne nehmen, den wir im Artikel darüber bestimmt haben, und nicht, wie es Vitruvius nihmt.
2S. Dreyschliz.
3S. Model.
4S. Dreyschliz.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774.
Lizenz:
Kategorien:
Ähnliche Einträge in anderen Lexika