Aeneas

Fig. 26: Aeneas
Fig. 26: Aeneas

[46] Aeneas, (Gr. u. röm. M.), Sohn des Anchises und der Venus. Diese liess ihren Sohn Aeneas von Dryaden erziehen, und brachte ihn erst im fünften Jahre seinem Vater, worauf Alcathous, ein Schwager des Aeneas, der Gemahl seiner Schwester, dessen Erziehung übernahm. Zu Dardanus am Fusse des Idagebirges wohnend, scheint Anchises anfangs keinen Theil am trojanischen Kriege genommen zu haben, bis Achilles den A. bei den Heerden überfiel, Letzterer nur mit Mühe sich durch die Flucht nach Lyrnessus retten konnte, doch auch hier durch Achilles vertrieben, seiner Rinder beraubt und so in den Krieg verflochten wurde. Dann erst führte er die Bewohner von Dardanus, Ophrynium, Bebrycia etc. nach Troja, woselbst man ihn - wahrscheinlich aus Eifersucht - anfangs nicht einmal gut empfing, bis die steigende Noth seinen Heldenmuth in Anspruch nehmen lehrte. A. war ein Liebling der Götter, die ihn jeder drohenden Gefahr, besonders den Angriffen des Achilles, entrückten. In dem Streit mit Diomedes lenkte A. die Rosse am Wagen des Pandarus - dieser fällt, verwundet, A. sucht ihn zu retten, wird aber von einem schweren Steine getroffen und sinkt gleichfalls; da schlingt Venus ihr Gewand um ihn, bringt ihn aus dem Gefecht, und da Diomedes sie verfolgt und verwundet, bringt Apoll ihren Sohn zum Tempel nach Pergamus, heilt ihn mit Hülfe der Diana und ihrer Mutter, täuscht aber durch ein Trugbild die Kämpfer auf dem Schlachtfelde, welche sich um A.' Körper zu schlagen glauben, bis der Held genesen wieder erscheint und die Feinde zurückweichen. - Bei dem Angriff auf die Verschanzungen der Griechen führte A. die vierte Schaar, das Gefecht ward wild und stürmisch; Alcathous, des A. Erzieher, fiel; sein Zögling half ihn decken und tödtete dabei den Oenomaus und Aphareus; als darauf Hector von Ajax niedergeworfen wurde, eilte A. ihm zu Hülfe und befreite ihn aus der Gefahr, gefangen zu werden, indem er Jasus und Medon erlegte. Er kämpfte später um die Leiche des Sarpedon,[46] führte ein anderes Mal die Trojaner wiederholt zum Kampfe um den Leichnam des Patroclus, tödtete den Leocritus, suchte die Rosse des Achilles zu fangen, und wagte sich zuletzt sogar an diesen Halbgott selbst, obwohl erst durch Apollo dazu ermuntert. Als jedoch Achilles zum Schwerte griff, da umgab Neptun ihn mit einer dichten Wolke und entführte ihn hinter die Reihen des trojanischen Heeres - A. war nach Hector der tapferste Streiter unter den Trojanern. Er suchte bei Eroberung der Stadt die Feinde noch zurückzutreiben, und als er diess unmöglich fand, zog er sich auf die Burg zurück und vertheidigte dieselbe so lange, bis er sah, dass ein bedeutender Theil der Bürger sich durch ein geheimes Thor auf das Idagebirge gerettet hatte; nun erst nahm er seinen kranken und völlig wehrlosen Vater auf die Schultern und floh aus der brennenden Stadt, zu der er dann noch einmal mit der augenscheinlichsten Lebensgefahr zurüchkehrte, um seine im Gedränge verlorene Gattin Crëusa zu suchen. - Nach Virgil baute A. mit den Trojanern im ersten Jahre zwanzig Schiffe, segelte im zweiten Jahre aus dem Hafen Antandrus ab und suchte in Thracien eine Stadt zu gründen; allein die Götter wiesen ihn von dort hinweg, und er segelte im Frühjahr des dritten Jahres nach der Insel Delos, wo er, von dem Gastfreunde seines Vaters, Anius, freundlich aufgenommen, das Orakel über seine fernere Reise um Rath fragte. Die Antwort desselben missverstehend, ging er nach Creta, woselbst er eine Stadt, Pergamea, zu bauen anfing, bis ihn die Pest vertrieb. Nach einem fürchterlichen Sturme landete er bei den Strophaden, und endlich, im fünften Jahre seiner Reisen, bei dem Vorgebirge Actium, woselbst er dem Apollo zu Ehren Kampfspiele hielt, und den Winter über blieb, um im sechsten Jahre nach Buthrotum zu gehen, woselbst er Andromache wiederfand. Er setzte dann seine Reise nach Italien fort und landete bei Drepanum in Sicilien, wo Anchises stirbt. Im darauf folgenden Jahre wollte A. endlich das ihm zum Königreich verheissene Italien zu erreichen suchen, allein ihn trieb ein gewaltiger Sturm nach der Küste von Africa, nach Carthago. Dido, Königin von Carthago, nahm den fremden Helden huldvoll auf, und in beider Herzen entbrannte heisse Liebe. Unser Bild zeigt nach einem alten Gemälde, wie sie sich des Mahles freuen. Auf einer Jagdpartie überfiel sie ein Unwetter, sie suchten in einer Höhle Schutz, und Venus vereinigte hier die Liebenden, doch nur zu ihrem Unglück, denn Jupiter sandte Mercur an den in Carthago gerne säumenden Helden, und befahl ihm, seine Abreise zu beschleunigen. A. schied mit schwerem Herzen von der ihm unendlich theuer gewordenen Dido, und diese wollte seine Flucht nicht überleben: sie liess sich einen Scheiterhaufen errichten und erstach sich auf demselben mit dem Schwerte des Aeneas. Dieser ward abermals von Stürmen verfolgt, und musste auf Sicilien landen, wo ihn Acestes gastfreundlich aufnahm, und wo er zum Andenken seines Vaters Leichenspiele hielt. Die Weiber waren der langen Reise überdrüssig und steckten die Flotte in Brand, wobei vier Schiffe verloren gingen. A. sollte dadurch gezwungen werden, in Sicilien zu bleiben, doch liess er nur einen Theil seiner Trojaner hier, nachdem er für sie die Stadt Aceste (Segesta) gebaut; darauf ging er mit den übrigen nach Italien und landete bei Cumä, wo er mit der Sibylle durch den Schlund des Avernus zur Unterwelt hinabstieg. Er war jetzt dem Ziel seiner Reise nahe, und landete endlich in der Mündung der Tiber, woselbst sogleich eines der Orakel in Erfüllung ging, nach welchem er die Stelle erkennen sollte, die ihm vom Schicksal als sein künftiger Wohnsitz ausersehen sei. Eine Gesandtschaft an den König des Landes, Latinus, wird von diesem freundlich aufgenommen, und dem A. die Hand der Lavinia, der Tochter des Latinus, zugesagt. Allein Juno reizte durch die Furie Alecto des Königs Gemahlin Amata und den König der Rutuler in Ardea, Turnus, zum Widerstand auf. Beide Theile suchen sich Bundesgenossen und der Krieg entbrennt. In offenem Felde bleibt das Kriegsglück unentschieden, aber im Zweikampfe fällt Turnus durch A.' Hand. So weit Virgil. Nach weiteren Sagen vermählte sich A. mit Lavinia, baute eine Stadt, die er nach ihrem Namen Lavinium nannte, und vereinigte seine Trojaner und die Einwohner des Landes, die Aboriginer, zu einem Volke, das er Latiner nannte, und bis an seinen Tod glücklich beherrschte, nach welchem er vergöttert wurde. Seinen Sohn Ascanius, durch den er der Sage nach Ahnherr des Romulus, und somit Gründer des römischen Volkes, auch insbesondere der Familie des Julius Cäsar wurde (da Ascanius auch Julus hiess), hatte ihm nach Virgil seine erste Gattin Crëusa, nach Andern die zweite, Lavinia, geboren.

Quelle:
Vollmer, Wilhelm: Wörterbuch der Mythologie. Stuttgart 1874, S. 46-47.
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