Theodor der Erste

[121] Theodor der Erste, König der Corsen – einer der merkwürdigsten Männer in der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts, der als Privatmann sich eine Königskrone erwarb, und doch sein Leben [121] Schulden wegen im Gefängniß endete – hieß mit seinem eigentlichen Namen Theodor, Freiherr von Neuhoff. Sein Vater, Anton, Freiherr von Neuhoff, ein Deutscher, hatte durch Verheirathung mit einer Kaufmannstochter seine ahnenstolze Familie gegen sich aufgebracht, und begab sich aus Verdruß über die deßhalb erlittenen Kränkungen nach Frankreich, erhielt durch Vorsprache der Herzogin von Orleans eine Gouverneurstelle; und ob er wohl bald starb, so nahm sich doch die Herzogin seiner drei Kinder an, die sie unter ihren Augen und in ihrem eignen Palaste erziehen ließ. Theodor, der anfangs einige Jahre Page war, nachher aber dem Soldatenstande sich widmete, ward bald Hauptmann. Von Jugend auf war Geschichte sein Lieblingsstudium, und nichts machte ihm mehr Vergnügen, als die Thaten großer Feldherren. Da eben jetzt Carl XII. König von Schweden, die Augen von ganz Europa auf sich zog, so trat der ruhmbegierige Theodor in dessen Dienste, und zeigte bald bei mehreren Gelegenheiten nicht nur als Soldat den größten Muth und Furchtlosigkeit bei den größten Gefahren, sondern gab auch zugleich mehrere Beweise von seiner Geschicklichkeit als Staatsmann. Er erwarb sich hierdurch die Liebe des Baron von Görz, des Lieblings und Ministers Carls XII. und durch dessen Empfehlung die Achtung des Königs selbst. In England machte seit dem Anfange des 18. Jahrhunderts Prinz Jacob, aus dem Hause Stuart, unter dem Namen Jacob III. Prätendent von Großbritannien bekannt, auf den Englischen Thron Ansprüche, und mehrere Mächte, namentlich Frankreich, Spanien und der Papst, hatten sich für ihn erklärt. Auch Carl XII. war ihm geneigt; und Görz mußte zu seinem Besten mehrere Reisen nach dem Haag und nach London thun, auf welchen ihn Theodor begleitete. Allein, da man in London eine, durch Görz und Graf Gyllenborg (Schwedischen Gesandten in England) zu Gunsten Jacobs gegen König Wilhelm III. von England eingeleitete Verschwörung entdeckte, wurden beide, Gyllenborg in London, Görz, auf Englands Ansuchen, in Deventer von den Generalstaaten, in Verhaft genommen. Da nun Görz – der zwar, wieder befreit, mit Neuhoff nach Schweden zurückging, allein nach Carls XII. plötzlichem [122] Tode in Schweden selbst arretirt wurde – durch ein Urtheil des Senats von Stockholm seinen Kopf verlor, hielt sich sein Freund und Vertrauter, Neuhoff, in Schweden ebenfalls nicht für sicher, und begab sich nach Spanien, wo er Chef eines Regiments ward, sich mit einer Hofdame verheirathete, aber bald darauf, da diese Ehe unglücklich ausschlug, nach Frankreich ging. Hier trat er mit dem berüchtigten Law (s. dies. Art.) in Verbindung, die aber auch sich bald und, dem Anscheine nach, deßhalb zerschlug, weil Law bei seiner großen Unternehmung Neuhoffs nützliche Vorschläge nicht befolgen wollte. Dieser wurde nun, als kaiserlicher Resident, nach Florenz geschickt, wo er Gelegenheit hatte, die Tyrannei kennen zu lernen, mit welcher Genua das ihm unterworfene Corsica beherrschte, und welche seit 1729 eine Empörung dieser Insel bewirkt hatte. Voll Bewundrung über die Freiheitsliebe und Tapferkeit der Corsen, that er alles, was er zu ihrem Besten thun konnte, und brachte es besonders dahin, daß sich der Oestreichische Hof erklärte, Corsica in seinen Schutz zu nehmen. Von Dankgefühl entflammt gegen den Mann, der sich ihrer so edelmüthig annahm, sandten die Corsen einige ihrer Vornehmsten an Neuhoff ab, um ihn auf ihre Insel einzuladen – eine Einladung, die er um so lieber annahm, da er Genuaʼs ausbrechende Rache gegen diese Insel fürchtete. Es war ihm leicht, die Corsen zu überzeugen, daß man nicht auf eine Aussöhnung mit Genua, sondern auf dessen Untergang denken müsse. Da sie selbst nur dann erst Sicherheit hofften, wenn sie ihre Republick in eine Monarchie verwandelten, so trugen sie Neuhoffen die Krone von Corsica an, die er zwar annahm, jedoch mit der Bedingung, sie augenblicklich zurück zu geben, wenn Reue ihrem Entschlusse folgen sollte. Vergebens suchte indessen Neuhoff, der nun den Namen: Theodor der Erste führte, seine Anerkennung als König bei irgend einem Fürsten zu erlangen; nur vom Türkischen Hofe wurde er durch Vorsprache der berühmten Grafen Bonneval und Ragotzky mit einer ansehnlichen Summe Geld unterstützt, die er zu Ausrüstung eines Kriegsschiffs von 24 Kanonen und zweier Transportschiffe verwendete. Mit diesen Schiffen, einem kleinen Gefolge [123] und Mund- und Kriegsprovision lief er im März 1736 in den Hafen von Aleria ein, als eben Genua seine Herrschaft über Corsica wieder ernstlich zu begründen suchte. Man empfing ihn mit unaufhörlichem Freudengeschrei; und noch an dem Tage seiner Ankunft wurde eine Versammlung von den Ersten und Vornehmsten des Volks gehalten, in welcher alle einstimmig die Wahl Theodors des Ersten, Königs von Corsica und Capraja, bestätigten, und ihm auf ewige Zeiten das Recht ertheilten, den Thron auf seine Nachkommen zu bringen. Nach dieser öffentlichen Proclamation wurde Theodor mit einer Lorbeerkrone gekrönt, mit einer Leibgarde umgeben, von den Vornehmsten des Volks auf den Armen getragen und dem Volke gezeigt, das für seine Regierung die feurigsten Wünsche that. Allein sehr bald erlosch dieser Enthusiasmus; es bildeten sich Parteien gegen ihn, und es wurden sogar drei der Vornehmsten, die an seiner Wahl zum König den meisten Antheil gehabt hatten, hingerichtet. Da auch die Genueser, ob sie schon von Corsica vertrieben waren, dennoch ihre Herrschaft über diese Insel behaupteten, und von Frankreich eine große Hulfsarmee erhielten; so versammlete Theodor, welcher der königlichen Würde selbst überdrüßig war, die Nation, und gab vor: er wolle selbst nach England gehen und Hülfe gegen die Feinde hohlen. Man legte seiner Abreise keine Hindernisse in den Weg; und Theodor ging wirklich nach England, wo er aber in Schulden gerieth, und deßhalb ins Gefängniß gesetzt wurde. Er starb, ohne Corsica wieder zu sehen, am 11. December 1756 im 61. Jahre seines Lebens, das unter andern Umständen, wenn er des Beistandes eines bedeutenden Europäischen Regenten genossen hätte, unstreitig Epoche gemacht haben würde, anstatt daß man ihn, da er keine Unterstützung erhielt, besonders in seinem Zeitalter, mehr für einen Abenteurer, als für einen Helden und Staatsmann ansah.

Quelle:
Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 6. Amsterdam 1809, S. 121-124.
Lizenz:
Faksimiles:
121 | 122 | 123 | 124
Kategorien: