Die Zigeuner

[475] Die Zigeuner, ein Volk, das sich von jeher einen Namen, wenn gleich nicht von der besten Art, gemacht hat, wurde zuerst ungefähr 1417 bekannt. Ueber ihre eigentliche Herkunft hat man sehr viele Meinungen gehegt; allein es ist schwerlich zu einem bestimmten Resultate zu gelangen. Bald glaubt man sie aus Mesopotamien, [475] bald sollen sie Perser oder Manichäer, bald Nachkommen der Juden sein, welche bei der Verfolgung im 14ten Jahrhundert flüchteten; bald hält man sie für Ueberbleibsel der alten Einwohner in Böhmen, welche vor der Ankunft der Slaven hier gewohnt haben. Mit mehrerer Wahrscheinlichkeit will man sie aus Indostan herleiten, und sie für ursprungliche Indianer aus dem verachteten Stamme der Sudder, welche Fleisch essen, gehalten wissen. Tamerlans Verwüstungen mochten sie bewogen haben, ihr Land zu verlassen; sie waren nach Asien gegangen, dann in Egypten umher geschweift, endlich in die Wallachey, Moldau und Ungarn, und zuletzt nach Deutschland gekommen. – Sie haben übrigens ganz eigne Gebräuche und Verfassung unter einander, ob sie gleich in den Landen, wo sie sich aufhalten, gemeiniglich auch die Landessprache (jedoch nach ihrer besondern Mundart), auch die Landesreligion annehmen, ob sie gleich von Religion selbst wenig Begriffe haben. Sie führen bekannter Maßen eine unabhängige freie Lebensart, lieben Musik und Tanz, und verdienen sich damit, so wie durch ihre Wahrsagekünste, wohl auch durch Handarbeit ihr Brot. Uebrigens schätzt man ihre Anzahl in Europa auf 7, bis 800,000 (wovon auf 100,000 allein in Ungarn und Siebenbürgen sich befinden); und sie sind allenthalben, in Spanien, England, Pohlen, Litthauen, Schweden etc. zerstreut. Auch haben sich die Regenten (Catharina II. Maria Theresia, Joseph II.) viel Mühe gegeben, das Volk nach und nach zur Feldarbeit oder zu Handwerken, auch zum Kriegsdienst anzugewöhnen, oder sie den übrigen Nationen einzuverleiben; allein noch scheinen diese Zwecke nicht sehr erreicht worden zu sein.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 6. Amsterdam 1809, S. 475-476.
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