Das Königreich Westphalen

[490] Das Königreich Westphalen nämlich empfieng durch ein Decret des französischen Kaisers vom 18 August 1807 seine Entstehung. Zufolge dieses Decrets erhielt dasselbe als Bestandtheile: 1) von den vorherigen churbrandenburgischen Provinzen: die Altmark auf dem linken Ufer der Elbe, den auf demselben Ufer liegenden Theil des Herzogthums Magdeburg, die Grafschaft Mansfeld brandenburgischen Antheils, Hildesheim und Goslar, Halberstadt, Hohenstein, Quedlinburg, Eichsfeld mit Dorla und Treffurt (welches jedoch zum Theil Kursachsen, zum Theil Hessen-Cassel gehörte), Mühlhausen, Nordhausen, Paderborn, Minden und Ravensberg, Stolberg und Wernigerode. 2) von den churbraunschweigischen Provinzen: Göttingen und Grubenhagen, Hohenstein, Elbingerode und Osnabrück. 3) Die gesammten churhessischen [490] Staaten, oder die Hessen-Casselschen Länder, mit Ausnahme von Hanau und Niederkazzenellbogen. 4) Die Herzoglich Braunschweig-Wolfenbüttelschen Lande. 5) Die ehemalige Abtei Corvey. 6) Erhielt es die Souverainetät über die, dem Fürsten von Kaunitz zugehörige Grafschaft Rietberg. – Die Constitution des Königreichs wurde durch ein Decret Napoleons vom 15. November 1807 bestimmt, nachdem bereits im Frieden zu Tilsit Hieronymus Bonaparte, Napoleons jüngster Bruder, (geb. d. 15. Nov. 1784) zum König ernannt worden war. Durch ein Decret des neuen Königs vom 24. December 1807 wurde nun das Königreich in acht Departements getheilt, nämlich: 1) Departement der Fulde, zu welchem zugleich Cassel, die nunmehrige Hauptstadt und Residenz des Königs gehört (s. d. Art. Cassel, auch in den Nachtr.) 2) der Elbe, 3) des Harzes, 4) der Leine, 5) der Ocker, 6) der Saale, 7) der Werra, 8) der Weser. – Erst nach dieser Eintheilung wurde am 11. März 1808 der dem König von Sachsen zugehörig gewesene Theil der Grafschaft Mansfeld an Westphalen übergeben und zum Departement der Saale geschlagen. – Die Größe und Volksmenge des Königreichs, welches zu Flüssen hauptsächlich die Elbe, Weser, Lahn; zu Hauptgebirgen den Harz, den Brocken (s. dieses Art.) und mehrere bedeutende Gebirge hat, wurde von jetzt an auf 695 Quadratmeilen und 1 Million 912,303 Einwohner, die Einkünfte gegen 16 Mill. Gulden berechnet. – Von der Beschaffenheit des Landes und Lebensart der Einwohner glauben wir nichts besonders beifügen zu dürfen, da bereits bei den Hauptbestandtheilen desselben in einzelnen Artikeln das Nöthigste gesagt ist. Nut bemerken wir, daß Westphalen besonders ein so ansehnlicher Theil der deutschen Universitäten zufiel, daß ihre Anzahl für den Umfang des Landes zu ansehnlich ward, nämlich; Göttingen, Halle, Helmstädt, Marburg und Rinteln; daher auch Helmstädt und Rinteln in der Folge aufgehoben wurden.

Was die Staatsverfassung dieses neuen Königreichs betrift, so hat blos die männliche Nachkommenschaft, mit beständiger Ausschließung der Weiber, [491] das Successionsrecht. In Ermangelung der natürlichen Nachkommen fällt der Thron an den französischen Kaiser und dessen Nachkommen; in deren Ermangelung aber an Joseph, dann an Louis, oder endlich an Joachim. Im Fall der Minderjährigkeit, welche mit dem 18. Jahre endigt, wird der Regent vom franz. Kaiser erwählt. Der Kronschatz für den König und die königliche Familie beträgt 5 Millionen Franken. – Das französische System der Münze, der Gewichte und Maße wird im ganzen Königreich eingeführt. Der Codex Napoleon ist das Civilgesetzbuch. – Der Staatsrath besteht, unter des Königs Vorsitz, aus den Prinzen vom Geblüt, den Ministern, den Staatsräthen, den Auditoren und einem Generalsecretair; von ihm werden die Gesetze über die Finanzen, bürgerliche und Criminal-Gesetze discutirt und den 3 verschiedenen Landescommissionen mitgetheilt und der definitive Entwurf gelange dann an die Stände. – Das Land wird in Departements (von einem Präfekt administrirt) und diese wieder in Distrikte (unter einem Unterpräfekt) getheilt, welche sich dann in Cantons, und diese wieder in Municipalitäten abtheilen; jede Municipalität hat einen Maire. Jeder Präfekt hat in seinem Departement die Aufsicht über Kirchen- und Schulwesen, öffentliche Anstalten, die Erhebung der Abgaben etc.; der Präfekturrath, aus 3 auch 4 Mitgliedern bestehend, entscheidet in Steuer- Defraudations- und Contractsachen bei öffentlichen Arbeiten etc.; der General-Departementsrath endlich, aus 16 oder 23 Mitgliedern, welche sich alle Jahre Einmal auf 14 Tage versammeln, vertheilt die direkten Steuern, setzt die Nachschußabgaben (Zulagscentimen) fest u. s. w.

Noch bemerken wir in Rücksicht der Inden, daß diese durch ein ausdrückliches königl. Decret vom 27. Jan. 1808 alle Gerechtsame der übrigen Staatsbürger erhalten haben: ihnen ist zugleich ein eignes Consistorium zu Beförderung der Cultur ihrer Glaubensverwandten, zur bessern Einrichtung des Schul- und Kirchenwesens etc. bestellt.

Quelle:
Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 8. Leipzig 1811, S. 490-492.
Lizenz:
Faksimiles:
490 | 491 | 492
Kategorien: