Niemeyer

[291] Niemeyer (Aug. Herm.), ein geistvoller und gewandter Schriftsteller im Fache der Religions- und Erziehungswissenschaft und zugleich geistlicher Lieder-und Dramendichter, wurde geb. im Sept. 1754 zu Halle a. d. S., wo sein Vater Archidiakonus war. Seine Schulbildung erhielt er auf dem Pädagogium und der Universität zu Halle, wo er auch seit 1780 als außerordentlicher Professor und Inspector des theologischen Seminars, seit 1784 als ordentlicher Professor und Aufseher des königl. Pädagogiums wirkte, 1785 Mitdirector dieser Anstalt und des sehr in Verfall gerathenen Waisenhauses (s. Francke, Aug. Herm.), sowie zwei Jahre später Director des pädagogischen Seminars, 1792 Consistorialrath und 1794 Doctor der Theologie wurde. Auch damals schon hatte N. viel von den Anfeindungen der Pietisten zu leiden, deren Grundsätze er aus dem Erziehungswesen zu verdrängen suchte. Das Feld seiner Thätigkeit erweiterte sich jedoch immer mehr, indem er 1800 Director des Almosencollegiums und 1804 wirklicher Oberconsistorialrath und Mitglied des berliner Oberschulcollegiums wurde, bis ihn, nach 1806 erfolgter Aufhebung der Universität Halle durch Napoleon, noch 1807 das harte Schicksal traf, als Geisel mit nach Frankreich geführt zu werden. Bald jedoch zurückgekehrt, nahm er 1808 als westfäl. Reichsabgeordneter mit an der Huldigung des Königs von Westfalen Theil und erwarb sich dermaßen das Vertrauen der neuen Regierung, daß sie ihn 1808 zum Kanzler und beständigen Rector der hergestellten Universität Halle ernannte, bis dieselbe, wegen ihrer im Apr. 1813 den Alliirten bewiesenen günstigen Gesinnungen, von Napoleon abermals aufgelöst wurde. Wie sehr sich N. die Achtung der preuß. Regierung zu bewahren wußte, dafür spricht, daß er von ihr 1814 nach Wiederherstellung der Universität aufs Neue dabei angestellt, 1816 zum Consistorialrathe und auswärtigen Mitgliede des Consistoriums zu Magdeburg und außer andern Ehrenbezeigungen auch dadurch geehrt wurde, daß im Apr. 1827 die Feier von N.'s 50jährigem Magisterjubiläum durch die kön. Bewilligung von 40,000 Thlr. zum Neubaue eines Universitätsgebäudes ausgezeichnet ward, den aber N. nicht erlebte, da er am 7. Jul. 1828 starb. Als Schriftsteller hat N. das Erziehungs- und Unterrichtswesen am meisten aufgehellt und zuerst auf die Grundsätze der Erfahrung und selbständigen Entwickelung zurückgeführt; seine Schriften zeugen außerdem von seiner ebenso gründlichen als hellen und geläuterten Religionsansicht, von ruhiger Forschung, besonnenem Urtheil, inniger Achtung des Sittlichen und Heiligen und der lautern Quelle eines begründeten Glaubens an dasselbe, und empfehlen sich durch eine klare, gefällige und anziehende Darstellung. Zu den vorzüglichsten gehören: »Charakteristik der Bibel« (5 Bde.; 6. Aufl., Halle 1830); »Philotas, oder Beiträge zur Beruhigung und Belehrung für Leidende und Freunde der Leidenden« (3 Bde.; 3. Aufl., Halle 1828); »Populaire und praktische Theologie« (2 Bde.; 4. Aufl., Halle 1800); »Grundsätze der Erziehung und des Unterrichts für Ältern, Hauslehrer und Schulmänner« (3 Bde., 9. Aufl., von seinem Sohne H. A. Niemeyer besorgt, Halle 1834–35). Ansprechend und lehrreich sind auch seine »Beobachtungen auf Reisen« (5 Bde., Halle 1820–26), welche die Schilderung einer 1806 durch Westfalen nach Holland gemachten Reise, der gezwungenen nach Frankreich und einer nach England im J. 1820, enthalten.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 291.
Lizenz:
Faksimiles:
Kategorien: