Skepticismus

[201] Skepticismus oder Skepsis nennt man eine schon seit dem griech. Alterthume bestehende Richtung des denkenden Geistes, welche sich der positive Resultate der Erkenntniß aussprechenden Phantasie entgegenstellt und auf verständige Weise die Grenzen der menschlichen Erkenntniß zu bestimmen, die Unzuverlässigkeit derselben im Allgemeinen darzuthun unternimmt. Die alten Bekenner der Skepsis, Skeptiker genannt, gründeten ihre Beweise von der Unzuverlässigkeit der Erkenntniß besonders darauf, daß sie die Mangelhaftigkeit der sinnlichen Erkenntniß darthaten, und damit alle Erkenntniß widerlegt zu haben meinten, insofern als alle weitere Erkenntniß aus der sinnlichen sich entwickelt. Als Vater der Skepsis wird der Grieche Pyrrho aus Elis genannt, welcher um 340 v. Chr. lebte, und nach welchem die alten Skeptiker auch Pyrrhonier genannt werden. Derselbe verzweifelte an der absoluten Gewißheit der Erkenntniß und foderte daher Enthaltsamkeit von allen entscheidenden Urtheilen, Epoche, wie er es nannte, und daher hießen die Skeptiker auch Epheliker. Durch dieselbe und durch Apathie, d.h. Befreiung von Leidenschaften, erstrebte er die des Weisen würdige Unerschütterlichkeit oder Ataraxie. Der Zweck der Skepsis war Anweisung (Agoge) zu einem vernünftigen Verhalten im Leben. Da die Skeptiker keine Gewißheit der Erkenntniß anerkannten, so hießen sie auch Aporetiker (Ungewisse). Einer der ausgezeichnetsten und gelehrtesten Skeptiker des Alterthums war Sextus Empirikus (s.d.). – Der moderne Skepticismus hat sich besonders gegen die Zuverlässigkeit der Verstandes- und Vernunfterkenntniß gerichtet und ist, da er nur auf dem Boden der Unkenntniß der Philosophie erwachsen, doch aber dieser sich entgegenstellte, zu keiner Bedeutung gelangt, während der alte Skepticismus wesentlich zur Förderung der Philosophie beitrug, insofern er sie von der sinnlichen Erkenntniß befreite und dazu mitwirkte, sie in das ihr gemäße Gebiet des Gedankens zu erheben, welches sie seit dem Mittelalter betreten und festgehalten hat. – In allen Wissenschaften, welche auf gewissen Annahmen mit ihren Folgerungen beruhen, hat sich eine die Richtigkeit jener Annahmen bezweifelnde und in Untersuchung ziehende Richtung unter dem Namen der Skepsis geltend gemacht und zwar mit einem die Wissenschaft wahrhaft fördernden Erfolge, insofern eine wissenschaftliche Untersuchung der Grundannahmen die nothwendige Bedingung jeder wahren Wissenschaft ist, und namentlich bei den empirischen Wissenschaften die Erkenntniß der Unzuverlässigkeit der Sinneswahrnehmung die Bedingung ihres Fortschrittes ist.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 201.
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